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gürtlers contragnosen

Vor zwei Jahren haben sechs Konzerne je acht Milliarden Euro für eine UMTS-Frequenz bezahlt. Und weil wir demnächst mit der Rückzahlung dieser Milliarden beginnen sollen, wollen die sechs uns nun für das begeistern, was UMTS alles können wird. Da wimmelt es nur so von „real-time gaming“ und „multimedialem Messaging“ und „Micropayment für Premium-Content“ – was man halt so können muss, wenn man zur Info-Elite gehören will, wie sie die Mobilfunker gerne hätten.

Als leidenschaftliche Besserwisser müssen wir hier allerdings widersprechen. Mit UMTS wird zwar ein technischer und gesellschaftlicher Fortschritt verbunden sein. Und er wird auch irgendwie mit der Verknüpfung von Internet und Telefon zu tun haben. Aber dieser Fortschritt wird anders aussehen als das, was uns die Konzerne schmackhaft machen wollen. Denn sowohl die Internet- als auch die Mobilfunkbranche liegen mit ihren Marktprognosen traditionell weit neben der Spur.

Besonders katastrophal ist ihre Performance logischerweise dort, wo Internet und Mobilfunk zusammenkommen. In Japan gelang dem mobilen Datendienst i-Mode der Durchbruch nicht wie gedacht mit Services für Geschäftskunden, sondern mit dem Austausch von Pokémon-Bildchen zwischen Grundschulkindern. Der einzige hierzulande erfolgreiche Datendienst via Handy beruht auf der Faszination, die es auf die Jugend von heute ausübt, die 26 Buchstaben des Alphabets mit dem Daumen in die 12er-Tastatur des Telefons einzusimsen. Ein Marktforscher, der das vorausgesagt hätte, wäre für verrückt erklärt worden.

Offensichtlich handelt es sich hier um ein ideales Einsatzgebiet für die neue Technik der Contragnostik. Die größtmögliche Abweichung von den Prognosen der Marktforscher, die Contragnose eben, müsste der realen UMTS-Zukunft besonders nahe kommen. Die Konzerne setzen auf die Kids – also werden die Rentner den Durchbruch bringen. Die Konzerne setzen auf den männlichen Spieltrieb – also wird praktisches Hausfrauendenken den Erfolg bringen. Die Konzerne setzen auf Sex – also sollte man auf Familie setzen.

Daraus ergibt sich folgende UMTS-Contragnose: Die Services, die UMTS zum Durchbruch verhelfen, reißen die technologische Barriere zwischen den Generationen ein. Sie sorgen dafür, dass man aller Segnungen moderner Vernetzung teilhaftig wird, wenn man die Kulturtechnik des simplen Telefonierens beherrscht. Die Killer Application für UMTS wird weder i-Mail noch x-Mode noch MMS heißen. Sondern: das Fräulein vom Amt. DETLEF GÜRTLER

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