grüne grundsätze: Für die gehobene Mittelschicht
Links wollen die Grünen nicht mehr sein, die Globalisierung hat gute und schlechte Seiten, Gewalt als Mittel der Politik lässt sich – leider, leider – nicht immer ausschließen: Unangreifbar ist die Erkenntnis der Kommission für das Grundsatzprogramm der Grünen, dass sich die Partei seit ihrer Gründung sehr verändert hat. Die zentrale Überlebensfrage lautet: Reicht das neue Konzept als Basis, um die Fünfprozenthürde zu überspringen?
Kommentarvon BETTINA GAUS
Natürlich entscheiden Programme nicht allein über die Zukunft einer Partei. Im Zuge der immer stärkeren inhaltlichen Angleichung der politischen Rivalen und der wachsenden Personalisierung von Politik haben sie in den letzten Jahren dramatisch an Bedeutung verloren. Dennoch war die schriftliche Fixierung grüner Grundsätze seit langem überfällig. Wenn eine Regierungspartei theoretisch immer noch behauptet, sie sei eine “Anti-Parteien-Partei“, dann ist das realpolitisch lächerlich.
Nun liegt der Entwurf des neuen Programms also vor. Zusammengefasst besagt er: Keine andere Partei hält den europäischen Einigungsprozess für insgesamt so uneingeschränkt positiv wie die Grünen, keine andere Partei legt so viel Wert auf die Freiheit der individuellen Lebensgestaltung, keine andere Partei rückt ökologische Forderungen so sehr in den Mittelpunkt ihres Staats- und Gesellschaftsverständnisses. Das sind klare Aussagen. An wen richtet sich dieses Programm?
Fest steht, an wen es sich nicht richtet. Mit einem Programmentwurf, in dem der Kosovokrieg auch heute noch als „statthaft“ bezeichnet wird, verabschiedet sich die Partei endgültig von all jenen, die in der Nato-Aktion einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gesehen haben. Mit der vorsichtig positiven Einschätzung der Globalisierung verabschieden sich die Grünen von ihrer linken Klientel. Die Partei verändert ihr Profil. Aber vielleicht wird es der gehobenen Mittelschicht in Deutschland ja so gut gehen, dass die Grünen überleben können.
Das nämlich ist die Zielgruppe der grünen Zukunft: Jene, die von sich glauben, bei ihrer Wahlentscheidung nicht in erster Linie die eigenen Interessen im Auge haben zu müssen, sondern das von ihnen unterstellte Gemeinwohl im Auge haben zu dürfen. Ein wohliges Gefühl, das auch FDP-Wähler zu jenen Zeiten hatten, als die Partei vor allem für Bürgerrechte stritt. Die rebellischen Kinder des Bürgertums, die einst die Grünen gegründet haben, sind in den Schoß ihrer Familien zurückgekehrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen