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grieche ehrenhalber von JOACHIM SCHULZ

Dass man in Wahrheit ein ganz anderer ist – wer wüsste das nicht? Niemals freilich zeigt sich das deutlicher als auf Reisen. Kaum sehen wir die Wellenkämme des Mittelmeers im Sonnenlicht glitzern, ergreift unser südeuropäisches Unter-Ich von uns Besitz, und schlagartig haben wir uns in einen mediterranen Küstenbewohner verwandelt, der seine Tage damit verbringt, am Pier entlang zu bummeln, schockschwarzen Kaffee in der Hafenbar zu verzehren und kennerhaft über den Wohlgeschmack der Meeresbewohner zu plaudern.

Trotzdem sind die Einheimischen leider nicht dazu bereit, uns mir nichts, dir nichts einzubürgern. Auch hilft es uns überhaupt nicht weiter, mit leidenschaftlichem Eifer die verdächtig nach geschreddertem Komposthaufen schmeckende Zigarettenmarke zu schmauchen, die die ortsansässige Bevölkerung mehrheitlich bevorzugt, oder demonstrativ zu jeder Verabredung mit einer halben Stunde Verspätung zu erscheinen, um zu beweisen, dass uns mit den klassischen deutschen Tugenden keine sonderlich innige Freundschaft verbindet. Selbst eine profunde Kenntnis der Landessprache und ein offensives Palavern in vorbildlich gebauten Sätzen führt leider nicht dazu, dass man uns umgehend aufnimmt. Stattdessen sehen sich unsere Gesprächspartner durch unser Kommunikationsverhalten meist dazu veranlasst, uns in astreinem Hessisch von ihrer Zeit am Opel-Fließband zu berichten, weshalb wir es am Ende fast bedauern, dass wir nicht die Befugnis besitzen, ihnen die Ehrenbürgerschaft von Rüsselsheim zu verleihen.

Nichts aber wäre verkehrter, als sich von diesen Fehlschlägen entmutigen zu lassen! Denn ob Sie’s glauben oder nicht: Es gibt tatsächlich einen Weg, der überall schnurstracks zur sofortigen Einbürgerung führt. Um ihn zu gehen, genügt es vollkommen, sich in der richtigen Lokalität die richtige Menge einer extrem landestypischen Speise zuzurüsten. Ich entdeckte das auf dem Peloponnes, als ich in einer Taverne als Beilage zum gegrillten Fisch eine wahrhaft gigantische Extraportion fritierter Kartoffelscheiben orderte, was ganz allein meinem spektakulären Hungergefühl geschuldet war. Kaum aber hatte ich meine Teller leergeputzt, bemühte der Wirt sich in Begleitung mehrerer Stammgäste und einer großen Flasche Anisschnaps an meinem Tisch, und keine zwei Minuten später war ich zum Griechen ehrenhalber ernannt.

Versteht sich, dass ich diese Begebenheit zunächst für einen singulären Glücksfall hielt. Indessen stellte sich bald heraus, dass diese Methode, dem Hunger zu folgen, überall zu demselben Ergebnis führt. So konnte ich im Laufe der Zeit die spanische, italienische und slowenische Staatsbürgerschaft erwerben, und selbstverständlich werde ich auch im nächsten Jahr, wenn ich in die Heimat der Azteken reise, auf diese erprobte Strategie setzen. Das wird zwar aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass mir eine Überdosis Chili sämtliche Eingeweide wegätzt. Wer aber ein echter Mexikaner werden will, den darf ein solches Opfer natürlich nicht schrecken.

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