gottschalk sagt : Tote und andere Zeitgenossen
CHRISTIAN GOTTSCHALK:Die Kolumne am Donnerstag
Neulich war ich mal wieder in der Stadt, und zwar in der Innenstadt, und zwar abends, und zwar auf den Ringen, und zwar Freitags, und zwar im Kino. Im Kino war es angenehm leer, wahrscheinlich hatte der Express „Biergartenwetter“ befohlen. Ich sah einen prima Zombiefilm, in dem Massen von Zombies in der ihnen eigenen dumpfen Art auf der Suche nach frischem Fleisch sind. Danach betrat ich die Kölner Ringe und hatte Angst. Nein, hatte ich natürlich nicht. Obwohl die Menschenmassen, die hier flanierten, tatsächlich in der ihnen eigenen dumpfen Art...
Quatsch. Das war jetzt so ein Achtziger-Jahre-Freak-Witz. Damals wollte man ja gerne ausdrücken, dass man sich doch sehr lebendig fühle, und ungemein selbstbestimmt sei, während die anderen ja alle etwas doof und vor allem fremdbestimmt seien. Klingt überheblich, ist aber auch heute noch, angesichts des Erfolgs von „Starbucks“, eine durchaus diskutable Theorie. Damals konnte natürlich niemand voraussehen, dass der US-Imperialismus mit affigen Kaffeesorten unsere Jahrhunderte alte Kännchen-Kultur zerstören würde. Schließlich hatten wir gerade erst den Milchkaffee erfunden.
Damals saß man ja tagelang mit einer Tasse Milchkaffee von der Größe eines Planschbeckens am Küchentisch und drückte sein Fantum für Selbstbestimmung und Lebendigkeit gerne in Tiervergleichen aus. Also mit Fischen und Vögeln, die gegen den Strom schwimmen und fliegen, statt tot zu sein und nur von der Freiheit zu singen. Lebendigkeit war so in, dass es sogar einen extra Kalender „für lebendige Männer“ gab, für Tote dagegen gab es keinen. Nicht mal für Untote.
Eigentlich diskriminierend. Dabei sind Tote manchmal eine angenehme Gesellschaft. Neulich fuhr ich mit dem Fahrrad, und zwar durch den äußeren Grüngürtel, und zwar bei Sonnenschein, und zwar an einem Samstag, und zwar in einer Nietenhose. Alles voller Sportler. Es gibt keine normalen Spaziergänger mehr, keine Lustwandler, keine „Radler“, die eine Flasche Fanta im Körbchen mit sich führen. Es gibt nur mehr Biker, Jogger, Nordic Walker, selbst Kinderwagen werden im Laufschritt geschoben, man hört sie keuchen, sieht sie schwitzen, schaut in verzerrte Gesichter: Es ist unheimlich ungemütlich geworden im Wald. Wer manchmal eine Grünanlage ohne Jogger braucht, der besucht die Toten. Auf Melaten.