gottschalk sagt : Lieber Brot als Böller
CHRISTIAN GOTTSCHALK:Die Kolumne am Donnerstag
Vor vielen Jahren saßen wir zusammen beim Essen und schworen: Nie wieder Silvester. Es war Neujahr, wir hatten alle einen schlimmen Kater und mir schmerzte außerdem das Ohr, weil mir jemand eins drauf gegeben hatte. Man sollte eben keine Mercedessterne klauen, wenn der Chauffeur daneben steht. B. hatte sich von ihrem Freund getrennt in der letzten Nacht. M. wusste nicht genau, was er gemacht hatte, war sich aber sicher, dass es nicht gut war. S. war sowieso deprimiert. „Begrabt mich bitte am 31. Dezember dieses Jahres und lasst mich nur durch einen Strohhalm atmen. Am 1. Januar gegen Mittag könnt ihr mich wieder ausbuddeln“, bat uns B. und wir versprachen es.
Dann erzählten wir uns gegenseitig von unseren misslungensten Silvesternächten. Da kamen einige Geschichten zusammen. Geschichten randvoll mit enttäuschten Erwartungen, falscher Alkoholauswahl, Problemen in der Partnerschaft und rätselhaften Schürfwunden. Ich habe mir damals vorgenommen, wegen Silvester nicht mehr hysterisch zu werden – auch wenn es schwer fällt. Seitdem habe ich verschiedene Konzepte ausprobiert. Zu Dritt in einer Hütte ohne Strom war nicht schlecht, wir hatten sogar unsere Uhren abgenommen, um den Jahreswechsel zuverlässig zu verpassen (auch hysterisch, irgendwie). „Doofes Silvester“ war auch gut, als wir versuchten, mit öden Tröten und mieser Musik das Aufkommen unerwünschter „Stimmung!“ zu vermeiden. Auch „extreme trivial-pursuiting“ zu Fünft im Bauwagen und „extreme-two-by-two Pärchen-Silvester“ zu zweit in Belgien waren gut. Sowieso ist Silvester einfacher, wenn man keine Frau kennenlernen will. Oder überhaupt Leute.
Wer Spaß an so was hat, kann sich natürlich auch auf den Rheinbrücken Knaller in die Kniekehlen schießen lassen. Ich verstehe allerdings nicht, warum man sich mit wildfremden Menschen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt an einem Ort zum Sekttrinken treffen sollte, an dem besoffene junge Männer einen verantwortungslosen Umgang mit explosiven Materialien pflegen. Da kann man ja gleich zur Bundeswehr gehen.
So im Allgemeinen halte ich Feuerwerk ja für völlig überschätzt. Mir ist eine schöne Scheibe Brot eigentlich auch lieber als ein blöder Böller.
Frohes neues Jahr!