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geschichten, die ich eben schrieb. X: himmlische begegnung

von JOACHIM FRISCH

Zu Unrecht aus der Mode gekommen ist die religiöse Erscheinung. So war ich nicht wenig überrascht, als neulich am frühen Nachmittag ein Gesandter aus höheren Sphären auftauchte. Kaum war ich auf dem Diwan bei Easy-Listening-Elektro-Pop mixed by Future-Sound-Of-London sanft entschlummert, da beugte sich der Bote des Allmächtigen über mich. Ich wusste sofort, mit wem ich es zu tun hatte, mit der ehernen Gewissheit bzw. der radikalen Abwesenheit jeglichen Zweifels, die es nur im Traum und bei himmlischen Erscheinungen gibt.

Er war schlecht rasiert und kaum gekämmt, die Stimme klang rauchig, doch seine Worte standen wie Marmorsäulen im Raum: „Was tust du gegen deine Regierung, Würstchen?“ – „Äh. Mhmm. Regierung, nun . . .“, stammelte ich, überrumpelt von der Schärfe der Frage und der himmelsfernen Anrede.

„Papperlapapp. Gar nichts tust du, Wurm. Du weißt, dass der Innenminister den Menschen, denen er einmal Asyl verwehrt hat, fortan das Recht auf Asyl absprechen will, auch wenn sie politische Verfolgung nachweisen können, falls sie sich in ihrer Heimat politisch betätigt haben. Er verwehrt also Asyl, weil er vorher Asyl verwehrt hat. Der Schuft.“ – „Wie, was!?“ – „Schweig, Lurch. Sehenden Auges duldest du, dass die Selbstgerechten den Geknechteten ihre Knechtschaft vorwerfen, die Auflehnung gegen Ungerechtigkeit bestrafen und damit die Gebote des Chefs mit Füßen treten!“ – „Aber was kann ich dagegen tun?“ – „Jessesmariaundjosef.“ Der Prophet rollte mit den Augen. „Wie oft musste ich dieses Gesülze in den letzten 2.000 Jahren schon hören. Du siehst, dass der gleiche Innenminister vorhat, nur Menschen in eurem reichen Lande aufzunehmen, die der Barmherzigkeit nicht bedürfen. Dass er die am wenigsten Bedürftigen und ihre Familien am gastfreundlichsten empfängt. Dass er die Kinder der weniger Bedürftigen zurückweisen, die wirklich Bedürftigen zurückstoßen und ihrem Schicksal überlassen will. Kurz: dass er das Gebot der Barmherzigkeit auf den Kopf stellt und den Chef lächerlich macht. Und du, ja du legst die Hände in den Schoß. Der Chef ist ziemlich angefressen.“

Hier machte der Prophet eine kleine Pause, holte ein Etui aus der Innentasche seines braunen Kordjacketts und zündete sich ein Zigarillo an. Sein legeres Auftreten und die Tatsache, dass er vom „Chef“ und nicht etwa vom „Herrn“ oder „Allmächtigen“ sprach, ermunterte mich, das Thema zu wechseln: „Klingt fast so, als sei dein Chef ein Linker.“ – „Was glaubst du denn? Börsenmakler vielleicht? Nazi? Kapitalist? Neue Mitte?“ Nach einem verächtlichen, heiseren Lachen fuhr der Unrasierte fort: „Was für eine dämlich Frage.“

„Werde ich bestraft?“ – „Strafe? Du traust deinem Schöpfer das verachtenswerte Bedürfnis nach Strafe zu? Was glaubst du, wie der ganze Quatsch des Alten Testaments zustande gekommen ist? Haben nicht richtig zugehört, die Jungs.“

Das Gespräch begann mich zu faszinieren. Sehr schade, dass ausgerechnet in diesem Moment mein Redakteur anrief und alles vermasselte.

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