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geschichten, die ich eben schrieb. VI: utopien und mottenkugeln   von JOACHIM FRISCH

Scheiß Job, immer wieder leere Monitore voll schreiben zu müssen, auch wenn einem ums Verrecken nichts einfällt. Verlag, Leser und Termine kennen nun mal kein Pardon. So saßen wir, gestandene Sozialrevolutionäre, FeministInnen, Kulturlinke, militante Pazifisten und autonome Veganer, wieder einmal in der Redaktionsküche und starrten auf den Kalender, der gnadenlos Blatt für Blatt abwarf. Den Kosovo-Krieg hatten wir längst für beendet erklärt, allein Vega-Peter war noch überzeugt, der CIA kontrolliere die Weltpresse und die Nato bombe derweil Serbien platt.

Wir vertagten sein Anliegen aufs nächste Heft und suchten weiter nach einem Aufmacher, bis Klaus sich meldete: „Wie wäre es mit einer reflexiven Selbstthematisierung der Linken? Hat noch niemand vor uns gemacht!“ Seit 20 Jahren war kein Plenum vergangen, ohne dass Klaus mit dieser Schnarchidee genervt hatte. Doch niemand machte einen anderen Vorschlag, und insgeheim hofften wir, Klaus wäre letztlich nur zum Schweigen zu bringen, wenn er endlich seinen Reflexionsquatsch loswerden dürfte.

Klaus zog ein Heft aus der Gesäßtasche: „Zufällig habe ich ein paar Notizen hier. Ich würde also schreiben: Heute ist links Sein für viele ehemalige Linke ein Mantel, den man in den Schrank gehängt hat. Und von denen, die morgen Politik gestalten sollen, weiß kaum einer, welches politische Erbe man jungen Linken überlassen kann: Sprachlosigkeit, Utopieverlust, Anpassungsfähigkeit.“

Hier stockte Klaus, um den Blick schweifen zu lassen, bis er bei mir landete und mir keine andere Wahl ließ, als seine These zu kommentieren. Um Zeit zu gewinnen, nickte ich bedächtig. Dann dozierte ich: „Klingt gut, erst mal, ich kann nur im Moment nicht so viel dazu sagen, deine Botschaft muss erst mal bei mir ankommen.“ Klaus blieb gnadenlos, er hatte gemerkt, dass ich eierte, sein Blick befahl mir, Farbe zu bekennen. Ich bekannte Farbe: „Ich glaube, die jungen Menschen können das nachvollziehen. Es ist nicht schön, wenn die Alten endlich abtreten, man auf ein fettes Erbteil hofft und dann nichts rumkommt als ein alter Mantel, der nach Mottenkugeln riecht, während man im Spiegel ständig von der Generation der Erben lesen muss. Das muss einen doch sprachlos und utopielos machen.“ Geschafft: Klaus ließ Gnade walten und blickte in die Runde. Er sah, dass alle nickten, und er wusste, dass sein Text gut war und das Heft mit dem Schwerpunkt-Thema „Was ist links“ einleiten würde.

Das Heft bewegte tatsächlich einiges. Die alten Linken vom MSB und von der DKP und die ehemaligen KPD/MLer, die mittlerweile als Sachbearbeiter in der Behörde für Jugend, Schule und Berufsbildung in die Sessel pupten oder Second-Hand-Lederjacken verkauften, waren betroffen, öffneten ihre Schränke, holten die alten Mäntel heraus, klopften den Staub ab, warfen sie über die Schultern und machten sich auf die Suche nach einer linken Sprache und einer linken Utopie, um all das, Mantel, Sprache und Utopie, der jüngeren linken Generation zu vererben. Die jüngere linke Generation aber sprach: „Nett gemeint, Leute. Mit Aktien von SAP könnten wir allerdings mehr anfangen.“

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