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frankie goes homeHailes Lächeln und das Trampeln des Elefanten

The Power Of Love

Nach zehn Tagen, 46 Entscheidungen und drei Mal so viel Medaillen ist es nun an der Zeit, die Koffer zu packen und sich das Taxi Richtung Flughafen zu bestellen, einen letzten Blick werfend auf die in der Sonne glitzernde Skyline von Edmonton, der „Stadt der Champions“, die zwar keine so große Stadt ist, aber dennoch ein paar ganz schön hohe Häuser hat. Zehn Tage sind eine lange Zeit, 46 Entscheidungen eine noch viel längere, und so ist es bestimmt nicht übertrieben, wenn man, noch bevor der Taxifahrer an die Tür klopft, ein bisschen Revue passieren lässt, was so passiert ist bei dieser WM der Leichtathleten.

Strahlende Sieger hat es gegeben und traurige Verlierer, natürlich, die gibt es immer, wenn sich die Besten der Welt treffen zum Wettstreit. Und doch wird man manche Momente mehr in Erinnerung behalten als andere, vielleicht ein Leben lang, ganz einfach weil sie umweht waren von einem Moment der Größe oder der Tragik oder auch nur des Skandals. Man wird sich daran erinnern und jüngeren Kollegen später vielleicht einmal davon erzählen: „Ja, so war das damals, bei der WM in Edmonton, ich sehe es noch ganz genau vor mir, ich war ja schließlich dabei“ – und die jüngeren Kollegen werden einem dann zuhören mit großen Augen und spitzen Ohren, so wie man es selbst einmal getan hat, noch hier in Edmonton, wenn die alten Hasen, abends beim Bierchen, erzählt haben von früher und was sie so alles schon erlebt haben in den Leichtathletikstadien dieser Erde.

Es sind schöne Geschichten, unglaubliche manchmal, nur solche brennen sich ja ein ins Gehirn; die anderen hingegen sind schon morgen wieder Vergangenheit, begraben irgendwo auf dem Friedhof der Statistik, bewacht von einem hässlichen Grabstein aus nüchternem Zahlenwerk. Die Momente, die bleiben, sind anders. Sie sind unvergesslich, unsterblich, so wie das Lächeln der Marion Jones nach dem 100-Meter-Finale. Mrs. Jones war als große Favoritin angereist nach Edmonton, drei Mal Gold wollte und sollte sie gewinnen für ihr Land, die USA, und natürlich auch für ihren Sponsor Nike. Dann ist Marion Jones gleich in ihrem ersten Endlauf Zweite geworden, nur Zweite – und hat dabei gelächelt. Und auch wenn dieses Lächeln etwas eisig gewirkt hat und sehr enttäuscht, so hat Marion Jones, die man nicht unbedingt mögen muss, in diesem Augenblick doch unglaubliche Größe gezeigt, weil es ganz bestimmt nicht leicht ist zu verlieren, wenn man zuvor immer nur gewonnen hat.

Oder die Geschichte von Haile Gebrselassie, dem Wunderläufer aus Äthiopien, zwei Mal Olympiasieger, fünf Mal Weltmeister. In Edmonton wurde der 28-Jährige, den alle nur Haile nennen und der zu Hause in seinem Land ein Volksheld ist, Dritter über die 10.000 Meter, was bestimmt auch für ihn eine Enttäuschung war. Aber Haile hat gelächelt, gleich im Ziel, später bei der Pressekonferenz, auch bei der Siegerehrung, so wie er immer lächelt, breit und seine weißen Zähne zeigend, und in diesem Moment, in dieser Niederlage, ist der große Haile noch größer geworden. Ich habe es genau gesehen, ich war ja dabei. Genau so, wie beim akrobatischen Satz des australischen Stabhochspringers Dmitri Markow über 6,05 m, dem verrückten Goldhochsprung des Berliners Martin Buss, dem sensationellen Silberlauf von Ingo Schultz über 400 m, dem traurigen 5.000-m-Start der russischen Betrügerin Olga Jegerowa – oder dem wahnsinnigen 100-m-Lauf von Trevor the Elephant aus Amerikanisch-Samoa, der mit seinen knapp 150 Kilo Körpergewicht eigentlich nach Kanada gekommen war, um die Kugel zu stoßen, und plötzlich im Ziel des 100-m-Laufs endete, nach über 14 Sekunden.

Fest eingebrannt aber, mindestens so sehr wie all diese sportlichen Taten, haben sich auf jeden Fall die Menschen hier in Kanada, allen voran der Edmontonian. So freundlich, so hilfsbereit, so warmherzig wurde man selten zuvor irgendwo auf der Welt aufgenommen, selbst die älteren Kollegen wiederholen das immer wieder. Vielleicht haben die Menschen hier kein allzu großes Interesse an der Leichtathletik; vielleicht waren auch deshalb oftmals viele Plätze leer im weiten Rund des Commonwealth Stadium, was für viel Kritik und auch Häme gesorgt hat, gerade bei den ausländischen Journalisten. Dafür aber kümmern sich die Menschen in Kanada, speziell in Edmonton offenbar, auf geradezu rührende Weise um ihre Gäste und Mitmenschen. Mit Gold, Silber oder Bronze ist das gar nicht aufzuwiegen. Schon deshalb wird Edmonton unvergesslich bleiben.

FRANK KETTERER

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