feinde der menschheit: Neandertaler der Straßen
Autos zu hassen ist gar nicht so leicht, sie sind ja nur unschuldige Maschinen. Aber die Autofahrer! Auf ewig gefangen in der Seele eines Vierjährigen, der von Großzügigkeit noch nie gehört hat. Eine Polemik
Von Petra Schellen
Diese Monster! Diese Skorpione, Elefanten, Schlangen, vor allem: Mammute unter den Verkehrsteilnehmern! Dabei haben sie doch eigentlich alles, was sie brauchen: Dach überm Kopf, Heizung innen drin, Käffchen nebendran, dazu Smartphone und natürlich das Navi, den allzeit treuen Begleiter.
Das Auto selbst ist ja nur eine unschuldige Maschine, und die kann man gar nicht hassen. Aber die Insassen! Sitzen da wie Embryos, gepolstert und geschaukelt, sind die gesichertsten, meist auch schnellsten von allen und könnten zufrieden sein. Sind sie aber nicht. Denn stärker noch als die Embryonen- ist die Vierjährigen-Seele in ihrer Brust. Die des trotzigen Kindes, das schreit und trampelt, wenn es nicht bekommt, was es will.
Oder wenn jemand in die Quere kommt, und das passiert natürlich ständig: Unerträglich langsame Fußgänger – einige sogar mit Rollator oder Kinderwagen – queren bei Grün dreist den Fußgänger-Überweg. Radler nutzen unverfroren ihre Spur, wollen sogar dann fahren, wenn das abbiegende Auto gleichfalls Grün hat. Da wird der deutsche Autofahrer zum Tier: Ja, wo sind wir denn, wenn plötzlich der Langsamste das Tempo diktiert?
Dabei war das Auto – nun, nicht gerade evolutionär zuerst da, aber es ist am rasantesten, und so soll es auch schön bleiben. Dann muss die Oma eben auf die nächste 30-Sekunden-Ampelphase warten, der Radler auf den Bürgersteig schieben, wenn ihm was nicht passt. Ja, schieben, nicht fahren, denn der Autofahrer achtet sehr genau drauf, dass andere die Regeln achten.
Was ihn selbst betrifft – nun ja: Parken auf dem Trottoir ist ja wohl legitim, wenn sonst nichts frei ist, oder? Und das geduldige Warten auf einen Autofahrer, der auf belebter Straße einparkt und einen Super-Stau erzeugt: Das versteht sich von selbst; wozu lebt man schließlich in einer Solidargemeinschaft?
Eh, nein, für Radler und Fußgänger gilt das nicht, da muss man schnell noch abbiegen, bevor die angewackelt kommen. Man hat es schließlich eilig, noch nie was von Sofortness und superschnellem Internet gehört, digital und so? Gefährlich? Nein, wieso, im Internet-Game stehen die umgenieteten Passanten ja auch wieder auf. Und das göttliche Gefühl, wieder zwei Sekunden gespart zu haben vorm nächsten Innenstadt-Stau! Im übrigen nutzt der Autofahrer die gesparte Zeit durchaus effektiv: Da wird auf dem Smartphone gedaddelt, da wird der genervten Ehefrau mitgeteilt, dass man sich jetzt auf Höhe Uetersen befinde … alles unaufschiebbare Tätigkeiten.
Absurd eigentlich, dass ausgerechnet er so zeitgeizig ist; er ist doch sowieso der Schnellste und könnte die Warteminuten besser aufholen als Passant und Radler. Aber um Empathie geht es hier ja nicht. Auch nicht um Großzügigkeit, denn auf der Straße herrscht meist Krieg, das Darwinsche Gesetz. Der Stärkste gewinnt.
Das war schon zu Neandertalers und Macchiavellis Zeiten so, und wüsste man es nicht besser, würde man dahinter die Verzweiflung desjenigen vermuten, der weiß, dass seine Zeit abgelaufen ist, und der noch mal so richtig genießen will. Denn ja: Das Auto ist der letzte Hort selbstbestimmten modernen Lebensstils – na gut, nicht im Stau, nicht bei der Parkplatzsuche und neuerdings auch nicht mehr bei Umweltdebatten. Trotzdem: Diesen Akt der Freiheit lässt er sich nicht nehmen.
Seine Gattin, so sie mit ihm fährt, übrigens auch nicht. Sonst würde sie ja sagen, „Jupp, lass doch die Frau mal vor“, „Hör auf zu rasen“ – oder dem geschnittenen und schimpfenden Radfahrer Recht geben. Aber nein. Die Gattin schweigt, guckt triumphierend bis missbilligend zum Radler und reibt sich die Hände: Sie sitzt sicher an des Kaisers Seite, der ihr die Brötchen zahlt und damit vielleicht aufhörte, zöge sie ihn zur Rechenschaft. Am Ende müsste sie gar selbst aufs Fahrrad steigen, weil er sich eine Jüngere gesucht hätte, die besser zu ihm passt.
Das klingt ein bisschen nach 1950ern, aber mit dieser Retro-Haltung liegen die Eheleute voll im Trend: Selbst manch Kultursponsor hat noch nicht begriffen, dass die Aufbaujahre, als das Auto unschuldiges Wohlstands-Insignium war, passé sind. Würde der Sponsor des Bremer Musikfests es sonst wagen, zwei Autos, in grellen Heiligenschein getaucht, mitten auf den Markt zwischen die Barockmusik-Begeisterten zu stellen?
Eine Hamburger Supermarkt-Kette wirbt derweil mit einer Plastik-Schutzhülle für eines jener Protz-Autos, wie man sie von illegalen Autorennen kennt. Man sieht: Der Rollback ist voll im Gange. Dabei ist das Auto so was von uncool und vorbei. Mammut eben!
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