f.d.p. fast ganz grün: Stimmen statt Stimmung
Guido Westerwelle ist ein politischer PR-Artist. Er jongliert mit Worten so geschickt, dass er besser als jeder andere Aussagen verschleiert. Ein Beispiel? Gern. Gestern forderte der künftige F.D.P.-Chef ein „übergreifendes Bündnis für mehr Volksentscheide“. Die Distanz zwischen Bürgern und Parteien müsse so verringert werden. Donnerwetter, hört sich ja fast schon an wie ein Grüner. Aber: Westerwelle plädiert nicht wirklich dafür, dass Bürger mehr entscheiden sollen, sondern nur für „Bürgerbegehren“ oder „Bürgerbefragungen“. Eine „Inflation von Volksentscheiden“ könne mit der Verfassung verhindert werden. Wir wollen’s ja schließlich nicht übertreiben mit der Demokratie. Oder?
Kommentarvon DAVID ANDRÉ
Mit dieser Position hält Westerwelle der F.D.P. wieder einmal alle Möglichkeiten offen: Die CDU unterstützen, die gegen Volksentscheide polemisiert, weil sie den BürgerInnen nicht zutraut, über komplexe Fragen zu entscheiden – oder der Regierung beispringen, die demnächst einen Gesetzentwurf für mehr BürgerInnenbeteiligung präsentieren will. Ganz wie es die politische Lage erforden wird, fällt die F.D.P. dann auf die eine oder andere Seite um, je nachdem was dabei herausspringt. Allein, diese populistischen Machtspiele lassen einen künftig auf mehr direkte Demokratie hoffen.
Die Regierung hat ihre Absicht zu mehr BürgerInnenbeteiligung bereits im Koalitionsvertrag von 1998 vereinbart. Doch erst die Debatte um die EU-Osterweiterung letzten Herbst brachte die Initiative voran. Am Montag kündigte dann Justizministerin Däubler-Gmelin endlich an, demnächst ein Konzept vorzulegen. Höchste Zeit dafür – wenn man es noch vor den nächsten Bundestagswahlen 2002 durchsetzen will. Das wird nicht ganz leicht, denn für eine Grundgesetzänderung wird in Bundestag und Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit gebraucht, also auch die Union. Die ist derzeit allerdings mehr mit Polemiken gegen Außenminister Fischer beschäftigt als mit Sachpolitik.
Trotzdem: Eine Initiative für mehr direkte Demokratie ist nötig. Denn gerade in den nächsten Jahren stehen Entscheidungen an, bei denen etwa Kompetenzen an die Europäische Union abgetreten werden. Diese gravierenden Verschiebungen lassen sich den BürgerInnen nur vermitteln, wenn sie mitentscheiden dürfen. Warum sollten sie dabei weniger mitbestimmen als Dänen oder Engländer, Franzosen oder Schweden? Fragen wir Westerwelle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen