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Weidel, Wagenknecht und HitlerLinks-grüne Nazi-Kommunisten

Für Alice Weidel sind Hitler, Stalin und Wagenknecht alles Sozialisten. Das ist absurd. Trotzdem sind die Kategorien „links“ und „rechts“ veraltet.

Eindeutig nicht links, Alice Weidels Flaggenarm Foto: Matthias Rietschel/Reuters

Für Alice Weidel war Hitler links. „He was a Communist and he considered himself as a socialist“, sagte sie vor zwei Wochen im Gespräch mit Elon Musk. Am Mittwochabend schob sie bei „Maischberger“ die Begründung hinterher, Hitler hätte eine „staatsgelenkte Kommandowirtschaft“ installiert. Deshalb, so Weidel weiter, gäbe es eindeutige Parallelen zu Stalin. Letzterem wiederum hätte Sahra Wagenknecht, die ihr als Gesprächspartnerin gegenüber saß, bekanntlich jahrzehntelang nachgeeifert.

Damit ist die Sache für Weidel glasklar: Hitler, Stalin, Wagenknecht – alles lupenreine Sozialisten und Seelenverwandte, ja eigentlich nicht einmal wirklich von einander zu unterscheiden.

Zwischen der NSDAP und Weidels eigener Partei, die sich kürzlich Massendeportationen ins Wahlprogramm schrieb und Menschen in ihren Reihen hat, die SA-Parolen verwenden und nicht jeden SS-Angehörigen für verbrecherisch halten, gibt es selbstverständlich keine Parallelen. Dass derart absurde Aussagen getätigt werden können, liegt allerdings nicht nur an Alice Weidels Wortverdreherei. Es liegt leider auch an der Mehrdeutigkeit, die Worten wie „links“ und „rechts“ im politischen Sinne zu eigen ist.

Denn hatten – obwohl wir den Sozialismus üblicherweise links verorten – die rechtsextremen Nationalsozialisten nicht tatsächlich das S-Wort im Parteinamen? Ist Sahra Wagenknecht wirklich noch links, wenn ihre Partei sich gegen Migration ausspricht?

Linke Royalisten waren undenkbar

Um dieses Durcheinander aufzuklären, muss man ein bisschen zurückgehen. In der Nationalversammlung während der Französischen Revolution saßen die Verteidiger der alten Ordnung auf der rechten, die Revolutionäre auf der linken Seite. Diese noch in heutigen Parlamenten gültige Sitzordnung machte damals auch durchaus Sinn: Wer den König absetzen wollte, war auch gleichzeitig für Pressefreiheit, Gleichberechtigung und Demokratie.

Linke Royalisten waren ebenso wenig denkbar wie rechte Liberale. Seit der Indus­trialisierung im 19.Jahrhundert bedeutete links in der Regel die Kombination aus zwei unterschiedlichen Überzeugungen: einerseits staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und andererseits gesellschaftspolitische Liberalität.

Genau diese Ligatur erschwert es beispielsweise dem BSW, sich in das Links-rechts-Schema einzuordnen und nötigt die Parteivorsitzende dazu, sich als „links-konservativ“ zu bezeichnen: als ökonomisch links, aber gesellschaftspolitisch traditionell. Wenn aber ökonomische Restriktivität und gesellschaftlicher Konservatismus offenbar auch links (oder zumindest „links-konservativ“) sein können, hatte Alice Weidel dann am Ende nicht doch Recht behalten, als sie Hitler in die gleiche Kategorie steckte? Nein.

Die „staatsgelenkte Kommandowirtschaft“, die es (ansatzweise) im Dritten Reich gab, diente lediglich dem Expansionsstreben der Führerpartei und hatte mit Sozialismus so viel gemeinsam wie Marx’ kommunistisches Ideal „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“ mit dem menschenverachtenden „Jedem das Seine“ über dem Tor zum KZ-Buchenwald. Trotzdem wirft Weidels Aussage eine Frage auf, die gestellt werden sollte: Ist es heute noch sinnvoll, die politische Welt mit Vermessungsgeräten aus dem 18. Jahrhundert zu kartografieren?

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1 Kommentar

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  • Und bei dem ganzen ist die formale Einordnung im Zweifel weniger wichtig, sondern man bewerte nach Taten, Zielen und Methoden - wer ist demokratisch-rechtsstaatlich, wer setzt auf Lügen und Gewalt.