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ex und pop (14): tantentelefonat von DIETRICH ZUR NEDDEN

Das Telefon klingelt. Tante Karla ruft an, um mit mir zu schimpfen. „Du gehörst doch auch zu den Journalisten, die die Expo nur mies machen, deswegen kommen zu wenig Leute, aber du musst ja wissen, was du tust, dabei ist das ein so fasziniiiiiierendes Ereignis, einfach einmaaaalig, ich bin schon zehn Mal dagewesen und es war jedesmal fan-tas-tisch, diese wun-der-ba-re Stimmung.“ Ich komme nicht zu Wort und sie nicht zum Atemholen.

Man hätte ihr ein Fax senden sollen mit der Auswertung der Presseartikel: „Rund 90 Prozent aller Veröffentlichungen in Deutschland waren neutral formuliert. 4 Prozent der Artikel hatten eine positive Aussage und rund 6 Prozent behandelten die Expo 2000 kritisch“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung der Expo GmbH. Siehste. Trotzdem haben sich die Bundesregierung und das Land Niedersachsen darauf geeinigt, das Defizit, das auf 2,4 Milliarden Mark geschätzt wird, von den 6 Prozent Presse-Organen bezahlen zu lassen, die sich der Verhöhnung, des Zynismus und anderer herabsetzender Stilmittel schuldig gemacht und somit versucht haben, die gute Laune zu verderben.

Indessen scheut die Industrie keine Mühe, um den Besuchern auf attraktive Weise das Moderne an der modernen Welt zu vermitteln. Die Preussag AG zum Beispiel (Konzernumsatz fast 40 Milliarden Mark), „Weltpartner“ der Expo und daher in der beneidenswerten Lage, einen „Weltpartnertag“ zu gestalten, dachte sich etwas aus, das auf den Namen „Expoesie“ hörte, ein „fantastisches Börsenspektakel“ in der Preussag Arena (13.500 Plätze), das Tante Karla und mich als Teil eines „breiten Publikums“ auf eine „wunderbare Reise in die Welt der Wertpapiere“ mitnahm.

In der von Kreativ-Direktor Ralph Hazy Hartlieb konzipierten Show mit 46 Mitwirkenden in 140 Kostümen führte uns ein „Börsenmakler“ in viele Länder der Erde. Als pfiffiges Leitmotiv tauchte in jedem der zwölf Bilder ein rotes Band als Symbol für den Aktienkurs auf, die drei Begriffe Geld, Aktie und Handel wurden als verbindende Elemente zwischen den Kulturen dargestellt. 144 Wesen, geboren aus der Fantasie, zogen uns in ihren Bann mit ausdrucksstarkem Tanz, Musik, Gesang und hinreißender Komik, atemberaubender Artistik und eindrucksvoller Bühnenshow. Besonders prägnant waren die Figuren „Pfund“, „Dollar“ und „Yen“, aber auch die „Dow-Jones-Lady“, die „Frühlingsaktien-Lady“ und der „Börsen-Bulle“ werden unvergesslich bleiben.

Was waren das aber auch für prächtige Kostüme! Gewiss, mehrheitlich betonten sie die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, aber all die Strapse und Schleier, Federboas, turmhohen Hüte, Furcht erregenden Masken (Unterwelt!), wehenden Umhänge und Reifröcke größer als Lkw-Reifen konnte sich nur jemand ausdenken, der auch die Kostüme für Hella von Sinnen oder Lilo Wanders entwirft oder Kampagnen für Ostmann Gewürze konzipiert. Glückwunsch an die Firma Raloth-Kostüme!

Am Ende sang ein Engel mit geschorenem Schädel gen Himmel fahrend ein Lied, die letzte Zeile lautet „you win when you believe“. Das muss reichen.

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