event, event . . . und ewig lockt der event: „Becoming James Bond“
Reiseausschreibung Incredible Adventures
Dass Menschen im Urlaub Dinge tun, die ihnen im Alltag nicht in den Sinn kämen, ist bekannt. Der Zeitgenosse, der zu Hause schon den nächsten Zigarettenautomaten mit dem Auto ansteuert, geht jetzt allmorgendlich zu Fuß ins Dorf, um frische Brötchen zu holen. Und abends sitzt er nicht vor dem Fernseher, sondern am Lagerfeuer – und zwar mit wildfremden Menschen, die ihm in heimatlichen Gefilden gestohlen bleiben könnten.
„Zurück zur Natur“, auch zur eigenen, lautet die Devise – der Homo urbanicus regrediert für den Zeitraum des Ferienaufenthalts freiwillig zu jenem freundlichen Wilden, den der alte Rousseau als den eigentlichen Menschen beschrieb.
So verbreitet dieser Ausstieg auf Zeit noch ist, ein bisschen angestaubt wirkt er schon. Wer etwas auf sich hält, nimmt sich heute die amerikanische Variante des Rousseauschen Urmenschen zum Freizeitvorbild – den Pionier, Eroberer und Abenteurer, das tatendurstige Individuum also, das sich gegen die Widerstände der Welt sein Leben aktiv erkämpft. Durchschnittsmenschen, die sich ansonsten nur in Großraumbüros und Fitnesscentern bewähren, meinen jetzt, einen Sechstausender im Himalaja bezwingen zu müssen, buchen ein dreiwöchiges Überlebenstraining im Amazonasdschungel oder verkleiden sich mit Helm, Heuschreckenbrille und knallbuntem Kampfdress, um sich auf einem doppelt gefederten Mountainbike die Berghänge hinunterzustürzen.
Abwechslungsreiche Freizeitbeschäftigungen, ohne Frage. Dem richtigen Helden sind freilich auch sie nicht aufregend genug, muss er in all diesen Fällen doch nur sich selbst oder die Natur besiegen, während Gegner aus Fleisch und Blut, die ihm wirklich ans Leder wollen, nirgendwo auszumachen sind.
Zeitgenossen, die es nach derartigen Abenteuern verlangt, können jetzt aufatmen. Sie können auf Pauschalangebote des US-amerikanischen Spezialveranstalters „Incredible Adventures“ zurückgreifen, der sich den viel versprechenden Slogan: „Life is an incredible adventure or nothing at all“ zugelegt hat.
Zu den Hits in seinem Programm gehört ein Aufenthalt in einem ehemaligen CIA-Trainingscamp in der Wüste Arizonas, bei dem man all das tun darf, was man aus James-Bond-Filmen kennt. Der Held in spe lernt hier, wie er einem Angreifer die Waffe aus der Hand tritt, wie er Geheimdienst-Killer, die sich ihm an die Stoßstange geheftet haben, mit wilden Fahrmanövern abhängt und wie er aus fahrenden Autos auf Terroristen schießt, die hinter Büschen hervorspringen. Höhe- und Schlusspunkt des „three-day bonanza“ ist eine Geiselbefreiung, die ruhig blutig ausgehen darf: Die „good guys“ teilen sich in fünfköpfige Überfallkommandos auf und stürmen, mit Farbbeutelmunition um sich schießend, das Gebäude, in dem sich die „bad guys“ mit ihrer Geisel verschanzt haben.
Schade nur, dass sich die Reiseindustrie der gewaltigen Chance nicht bewusst zu sein scheint, die in dieser neuen Form das Aktivurlaubs liegt. Schließlich steht sie vor dem Dilemma, eine Kundschaft, der sie beigebracht hat, alle Länder dieser Erde für rundum gesicherte Urlaubsparadiese zu halten, nun vor Ort auch wirklich schützen zu müssen. Könnte man nicht aus den Absolventen des James-Bond-Trainingscamps eine schlagkräftige Schutztruppe formen, die Pauschalurlauber weltweit eskortiert und gegen Übergriffe seitens widerborstiger Landesbewohner verteidigt? Eine schwer bewaffnete Bürgerwehr, der man den klingenden Namen „Touristen helfen Touristen“ geben könnte? Damit wäre doch allen gedient: Die Helden der Freizeit hätten endlich die Out-of-Area-Einsätze, nach denen sie insgeheim fiebern, und die Veranstalter ein Heer mit zu allem bereiten Hobbykriegern, die für ihren Einsatz auch noch selbst bezahlen.
GERHARD FITZTHUM
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