eu-erweiterung: Erst denken, dann reden
Zunächst die Fakten: EU-Kommissionspräsident Romano Prodi hat der Irish Times nicht gesagt, er halte den Vertrag von Nizza für überflüssig. Er hat vielmehr behauptet, eine EU-Erweiterung sei auch ohne Nizza möglich. In ihrer politischen Wirkung unterscheiden sich die beiden Sätze allerdings kaum. Nur: Wenn der juristische Dienst der EU-Kommission spitzfindig über der Frage brütet, ob der derzeit gültige Amsterdamer Vertrag eine Lücke lässt, durch die Polen und Tschechien in die EU gelangen könnten, oder ob Zusatzprotokolle das unmöglich machen, dann dürfte dies den frustrierten Iren vermutlich ebenso egal sein wie den anderen EU-Bürgern auch.
Kommentarvon DANIELA WEINGÄRTNER
Viel interessanter ist die Frage, warum der Kommissionspräsident am Tag vor seiner Irlandreise die Reformvorschläge aus Nizza von der EU-Erweiterung abkoppelt. Denn zu der Mini-Reform von Nizza ist es überhaupt nur gekommen, weil die Staatschefs glaubten, ihr Eigensinn gefährde die Erweiterung.
Will Prodi dieses Reförmchen nun beerdigen, um ohne Umwege die grundlegende EU-Reform in Angriff zu nehmen? Wollte er den Iren signalisieren: Wir brauchen euer Referendum gar nicht, die Erweiterung kommt sowieso? Oder hat er einfach die neuesten Erkenntnisse seiner juristischen Fachabteilung herausgeplappert, ohne die Folgen zu sehen?
Wer Prodi kennt, wird die dritte Variante für wahrscheinlich halten. Dafür spricht auch, dass er schon einen Tag später erschrocken zurückruderte. Prodi hat sich zwar in Rom als geschickter Strippenzieher bewährt, aber den bürokratischen und diplomatischen Tücken des EU-Geschäfts ist er nicht gewachsen. Die Staatschefs wollten einen Kommissionspräsidenten mit etwas mehr Statur als Prodi-Vorgänger Jacques Santer. Gleichzeitig sollte er ihnen aber nicht die Schau stehlen. Diesen Anforderungen entspricht der lächelnde Professor aus Bologna ideal. Der Nizza-Vertrag ändert nichts daran, dass der Präsident der EU-Kommission auch weiterhin an den Fäden der Staats- und Regierungschefs zappeln wird, die ihn ernennen.
Vorschläge für eine echte Reform der Kommission gibt es: Die Mehrheit des Europäischen Parlaments könnte einen Präsidenten berufen, oder er könnte direkt von den Wahlberechtigten der EU gewählt werden. Dann würde sich vielleicht auch ein politisches Schwergewicht für den Job finden. Jemand, der erst denkt und dann redet.
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