eject: STEFFEN GRIMBERG über den Speiseplan an der Heimatfront
Antizyklisch denken lernen mit der taz (III): Reality-TV geht auf Zeitreise
„Inselduell zwo“ abgesagt, „Girlscamp“-Producer Michael Voppe in die Wüste geschickt, „Big Brother“-Börsengang verschoben: Reality ist tot. Mausetot. So was wird nicht mal mehr für den Deutschen Fernsehpreis nominiert, auf das diese noch nicht ganz im Bewusstsein des TV-Zuschauers verankerte Auszeichnung durch die prompt einsetzende publizistische Empörung kommuniziert werde.
Aus und vorbei, auch wenn Sat.1 brav die dünne mediterrane Suppe auslöffelt, die sich der Sender mit seinen „Mädels“ und „Baggerboys“ eingebrockt hat. Nur ein bisschen gespart wird. Der angebliche „Luxus“ im exklusiven Feriendomizil war ja ohnehin nur Ikea, jetzt haben sie anscheinend auch noch die Sendeleitung entlassen: Als diese Woche mitten im schönsten Rauswählen die Leitungen zusammenbrachen, sendete Sat.1 bis zum bitteren Ende unzusammenhängende Programmtrailer. Hübscherweise uralte, die längst Versendetes wie den „Graf von Monte Christo“ oder den „Heißen Film-Herbst“ anpriesen. Sat.1 – ja!
Reality also aus und vorbei? Mitnichten: Auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist Verlass, dass wissen wir alle spätestens aus dessen Eigenwerbung für die Nachrichtenprogramme in königsblau. Auch in Zeiten wie der Reality-Krise, wo sich Unsicherheit und der Durst nach Seriosität breit machen, blicken wir getrost in Richtung ARD und ZDF. Hier lebt Reality weiter, eben jetzt entwickelt der SWR sein „schwarzwaldhaus1902.de“. Vermutlich hat da nämlich jemand den britischen Channel 4 gesehen: Das hoch kultivierte, werbefinanzierte Programm für Intellektuelles, Schräges und dennoch gut Konsumierbares zeigt schon seit längerem biedere Brits, die sich auf Zeit in eine Behausung früherer Epochen zurückziehen und dort „wie früher“ leben. Das viktorianische Zeitalter war ein Quotenhit, jetzt läuft „The 1940s House“, inklusive weltkriegsbedingter Schonkost. Die macht übrigens so drahtig und gesund, dass die Testfamilie auch nach ihrem Auszug aus der jüngeren Vergangenheit den Speiseplan der Home Front weiter einhält.
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