eject: ARNO FRANK über eine dauerlaufende Supernase
Wie funktioniert eigentlich Thomas Gottschalk?
„Ich bin der Letzte“, sagte Thomas Gottschalk einmal in einem Anflug berechtigter Bescheidenheit, „der noch den Deckel über das ganz große Publikum stülpen kann“. Quoten von durchschnittlich 10 Millionen Zuschauern bei „Wetten dass ..?“ sprechen hier eine ebenso deutliche Sprache wie Marcel Reich-Ranicki in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Geschmacklosigkeiten kennt er nicht“, urteilte der Kritiker einst über Gottschalk, der im Fernsehen stets ein Füllhorn voller „Wunder zwischen Nathan, Faust, Hans Albers und Escamillo“ ausschütte.
Niemand moderiert in Deutschland so konstant wie Gottschalk, keiner kann sich auf einen so breiten Konsens verlassen. Und rasch reiht man ihn daher in die Liste jener Fährnisse ein, die ohnehin nicht zu ändern sind – wie das Wetter, der Tod, die Post, Gummibärchen oder eben „Wetten dass ..?“. Genau dies macht das Phänomen Gottschalk langsam unheimlich. Seit seinem schnoddrig-genialen TV-Durchbruch mit „Na sowas“ ist noch jedes Format gescheitert, das die Persönlichkeit der fränkischen Spaßkanone in den Mittelpunkt rückte – sei’s nun die „Late Night Show“ (RTL), „Gottschalks Hausparty“ oder die legendären „Supernasen“-Kinofilme mit Mike Krüger. Wie kommt es also, dass „Wetten dass ..?“ an guten Tagen bis zu 18 Millionen Menschen in den Bann gepflegter Langeweile zieht? Wie funktioniert Gottschalk?
Da wäre zunächst seine Körperlichkeit – mit den Jahren sanft gedunsen, gekrönt von einer unverändert goldgelockten Haarpracht. Beknackte, meist barocke Bühnenklamotten runden das gewohnte Bild des Berufsjugendlichen, der sich auf Drängen des Zeitgeists höchstens mal diesen, mal jenen Bart stehen und wieder abrasieren lässt. Und wer „das ganz große“ Publikum deckeln will, der muss natürlich auch das Repertoire seiner Gesten auf das Nötigste reduzieren. Das Problem der fliehenden Stirn übrigens hat Gottschalk unlängst per chirurgischer Bepflanzung aus der Welt räumen lassen; auch hier ist der Ehrenbürger von Kulmbach und Einwohner von Los Angeles ganz Kalifornier, was uns dem Phänomen einen Schritt näher bringt: Der Mann lebt in Amerika. Das ist wichtig, denn nur hin und wieder verlässt er diesen Kosmos, um in die Figur eines prototypisch deutschen TV-Moderators zu schlüpfen.
Als solcher moderiert er zunehmend teleprompt, immer leicht abwesend und luftgefedert über alle Schlaglöcher hiesiger Befindlichkeiten hinweg – ein Deus ex America, der nur noch für Aufzeichnungen und die daraus folgenden Auszeichnungen einsegelt, kann nichts falsch machen. Anders als etwa Günter Jauch, der zu kompetent ist und die Lebenswelt seiner Zuschauer noch weitgehend teilt – und sei es nur aus journalistischem Reflex. Gottschalk dagegen hat sich nicht nur geographisch von Deutschland, sondern auch geistig von der Gegenwart verabschiedet. Eine Frage wie „What Happened To Rock ‘n’ Roll?“ konnte nur Gottschalk singen, weil er die Antwort buchstäblich verkörpert.
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