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ejectARNO FRANK über einen Helden der Griechen im Tor der Bayern

Der Gott, die Zeitung und die Sau

Als Herkules von seiner Reise in die Unterwelt heimkehrte, da senkte die Göttergattin Hera Zorn in das Herz des Helden. Herkules tickte aus und meuchelte seine Familie. Als aber Kahn von seiner Reise nach Japan und Nordkorea heimkehrte, da senkte ein Fußballgott Zorn und Raserei in das Herz des Helden. Kahn tickte aus und meuchelte seinen eigenen und den guten Ruf des Vereins.

Weil Oliver Kahn selbst ein Fußballgott ist, folgen Geschichten über ihn den Regeln des Mythos. Kaum jemand erzählt Mythen so lebendig wie die Bild-Zeitung: „Knallt Kahn durch?“ Denn niemand taugt mehr zum strauchelnden Helden als der Unhold Kahn. Zudem ist „King Kahn“, wie er zu WM-Schonzeiten genannt wurde, das archetypische Männchen schlechthin. Einer, der schwitzt, hechtet, tritt, faustet und auch mal zubeißt. Ein zähnebleckender Rudelführer in der Wildnis der Stadien, für Bayern, für Deutschland, für uns alle – und damit auch für postfeministische Weibchen wie „Schlagerprinzessin Michelle“. Tja, wer streut die bösen Gerüchte? Ist’s der Auflagengott?

Auch der stolzeste Gott ist morgen nur die nächste Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Und Kahns mediale Reiseflughöhe ist – dank Bild – inzwischen so hoch, dass der Absturz genug publizistisch verwertbares Getöse hergibt. Der Blick auf diesen Sportler, diesen „Titan“ und „Dschingis Kahn“, kam ohnehin lange genug von schräg unten, von wo man die schwellenden Sehnen und pochenden Adern am besten sehen kann. Weil aber bei so viel Anbetung bald die Knie wehtun, wird nun die Perspektive zurechtgerückt und der Verantwortungsträger verantwortlich gemacht.

„Flieht Kahn aus Deutschland?“, sorgt sich folgerichtig die Bild-Zeitung. Schuld sind die Einflüsterungen einer Frau, seiner Frau: „Simone leidet sehr unter dem ganzen Wirbel. Darum hat sie Oliver gebeten, so schnell wie möglich ins Ausland zu gehen“. Nachdem übrigens Herkules erkannte, was er angerichtet hatte, ging er zur Buße ins Exil, um dort seine zwölf Arbeiten zu verrichten.

Inzwischen ist, um im Bild zu bleiben, die Sau nicht nur durchs Dorf, sondern auch durch die Bild-Zeitung getrieben worden: von Seite 1 auf Seite 14, in den Sport, wo er hingehört. Nicht auf den Olymp.

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