einsatz in manhattan: Der Gotham Book Mart soll umgebaut werden
Ein Kater namens Pynchon
Wenn der Kater schon nach ihm benannt ist, weiß sein Herrchen dann auch, wie der Autor selbst aussieht? „Jeder hier im Laden weiß, wie er aussieht. Dem Kater habe ich den Namen gegeben, weil das Tier genauso riesig ist. Pynchon ist auch riesig, bestimmt über einen Meter neunzig.“ Andreas Brown, 69, hat die angenehme Stimme eines Radiosprechers aus den 50er-Jahren und das Auftreten eines Onkels, dem man am liebsten auf dem Schoß sitzen möchte. Stundenlang Geschichten hören. Der Laden, von dem Brown spricht, ist sein Laden, der Gotham Book Mart. Neben der Beatnik-Hochburg City Lights in San Francisco die wohl bekannteste Buchhandlung Amerikas. 1920 hat ihn die bettelarme Frances Steloff in Manhattan gegründet. Brown übernahm 1967, und die literarischen Größen des Landes geben sich hier bis heute die Klinke in die Hand. Kein Wunder also, dass man den auf äußerste Anonymität bedachten Autor Thomas Pynchon kennt und die zwischen den Büchern umherstreunende Hauskatze nach ihm benannt hat.
Als Steloff 1989 im Alter von 101 Jahren starb, waren die Nachrufe voll von Namen aus dem Who’s who der Weltliteratur. Joyce bestellte hier seine Bücher aus Übersee. Allen Ginsberg und Tennessee Williams haben beide im Gotham Book Mart gearbeitet, wobei Letzterer bereits nach einem Tag gefeuert wurde. Er kam zu spät und stellte sich beim Verpacken von Büchersendungen ungeschickt an. Von Beginn an unterstützte Steloff experimentelle und kontroverse Literatur. Bis heute darf jeder Autor sein Buch auf Konzession vorbeibringen. Dabei verstieß Steloff anfangs oft gegen die Auflagen der Zensurbehörde. Exemplare von D. H. Lawrences „Lady Chatterly’s Lover“ wurden direkt über den Schriftsteller bezogen und unterm Tisch verkauft, Henry Millers „Tropic of Cancer“ vom Erotoman höchstselbst von Paris nach New York verschifft. Als Anaïs Nin 1942 nach New York kommt, wird sie vom Gotham Book Mart beim Druck ihres Romans „Winter of Artifice“ unterstützt. Und heute? John Updike und Arthur Miller, Woody Allen und Saul Bellow, sie alle kommen und gehen.
Kunde folgt auf Kunde (Charlie Chaplin kaufte hier und Marlene Dietrich), Anekdote reiht sich an Anekdote. Wie die Bücher in den Regalen, in zwei Reihen hintereinander gestapelt, Hunderttausende von ihnen, nirgends katalogisiert, alphabetisch geordnet nach Schwerpunkten. Wer bei Proust sucht, mag vor weit über einem halben Jahrhundert publizierte Bücher finden. Überall Fotos, von Cocteau, von Max Ernst, von der Dichterin Marianne Moore. Die Bücher biegen die paar Schreibtische im Laden durch, so hoch türmen sie sich. Kaum eine Ablage mehr, das sieht man in Manhattan sonst nur noch bei der Literaturredaktion der New York Times. Der verchromte Feuerlöscher ist von 1968. Eine Zeitreise. Im Schaufenster dicht an dicht gedrängt die Biografien von Primo Levi und Melville, „Gesammelte Gedichte“ von Tennessee Williams, „The Life and Times of Muddy Waters“. Auf Schaufenster angesprochen, deren Auslage in den meisten Buchhandlungen von großen Verlagen angemietet werden, die dieselben Veröffentlichungen darin dutzendfach platzieren, erwidert Brown ohne die Augenbrauen zu heben: „Die großen Buchladenketten. Eine Mentalität wie bei Gemüseauslagen, Damenschuhdekorationen und Spielzeugabteilungen.“
Durch die Fenster der zweiten und dritten Etage des vierstöckigen Hauses sieht man von außen sich die Pappkartons stapeln. Im allerobersten Stockwerk wohnt Brown, die Kartons markieren den Rare Book Floor und einen weiteren mit über 100.000 Literaturzeitschriften ab 1915. Im ersten Stock tagt die James Joyce Society seit ihrer Gründung 1947. Pynchon, der Kater, wohnt jeder Sitzung bei. „Jeweils zwanzig bis vierzig Mitglieder lesen hier jede Zeile von ,Finnegans Wake‘ und ,Ulysses‘ und kriegen sich anschließend darüber wie eh und je in die Haare“, amüsiert sich Brown. Derzeit wird noch bis Januar eine Ausstellung von Bildern und Gedichten der Rocksängerin Patti Smith gezeigt. Der Gotham Book Mart hat ihre Verse in den 70ern als Erstes veröffentlicht.
Nach weit über fünfzig Jahren seiner 82-jährigen Geschichte auf der 47. Straße hat Brown das Gebäude nun für knapp acht Millionen Dollar an den Diamantenhändler nebenan verkauft. 123 Interessenten hat es gegeben. „Modell, America’s Largest Jewelry Loan Broker“ wird Mitte nächsten Jahres das alte Haus abreißen und ein mindestens doppelt so hohes bauen lassen. Dutzende von Filmen sind bereits verknipst, jeder Winkel ist dokumentiert. „Alle haben Angst, dass ich mir jetzt eine Yacht kaufe und gen Sonnenuntergang segle“, scherzt Brown. Weit gefehlt. Der Buchhändler will nur ausbauen, katalogisieren, endlich ins Internet. In die Arena mit Amazon, dem „großen Gorilla“, wie er den Buchgiganten nennt. „Dass wir keine Webpräsenz haben, war nie so geplant. Der Laden war einfach zu klein dafür. Wir brauchen dringend eine größere Fläche.“ Man sollte Browns Talent und gutem Willen vertrauen. Als Steloff ihm den Gotham Book Mart übergab, ließ sie ihn wissen, dass er den Laden nur verwalten und nie wirklich besitzen kann.
THOMAS GIRST
Gotham Book Mart & Gallery, Inc., 41 West 47th Street, NYC
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