eine recherche der taz und des kulturradios lotte in weimar: Auf der Suche nach der deutschen Leitkultur*
„Springteufel mit ganz verschiedenen Zungenschlägen“
Feridun Zaimoglu, Schriftsteller aus Kiel und Chronist der deutschen Kanak-Sprak:
Deutsche Leitkultur – keine Ahnung, was das ist. Sind das schlesische Gurkenhäppchen? Das Schöne an diesem Land ist doch, dass es nicht eine einzige Leitkultur gibt. Gott sei Dank aber sind die Protagonisten unseres Alltags viel weiter als Demagogen wie Friedrich Merz und seine Kumpanen.
Ich habe mich schon immer gewundert, dass die deutsche Kultur – im Singular – anscheinend nur für Ausländer und Ausländischstämmige zu gelten hat, während die Mehrheit der Deutschen sich längst anderen Kulturbrocken zugewandt hat. Unsere Kultur in Deutschland ist nämlich plural – und dazu gehört zum Beispiel der Kanak-Jargon, den ich hier in den Großstädten gefunden habe.
Kanak-Sprak ist ein Gemisch aus Comics, Videoclips, Street Talk, aus dem Infinitiv-Allemannisch der ersten Generation („Du sagen, ich gehen . . .“); es gibt Anleihen aus anatolischem Argot, Balzgesänge (weil alle Jungs davon träumen, die Ballkönigin zu vernaschen), schwarzgallige Arabeskweisen und den Kitsch der Export-/Importläden. Gleichwohl ist auch dies nur eine von vielen Sprachen, die in Deutschland gesprochen werden. Es sind hier in den Großstädten nämlich Springteufel mit ganz verschiedenen Zungenschlägen zugange, und da ist für deutsche Heimatkultur einfach kein Platz und keine Zeit mehr.
Dem widerspricht natürlich nicht, dass man ohne die deutsche Sprache im Rattenrennen um Jobs und Ausbildungsplätze schlechter bestellt ist. Ich rate hier jedem Deutsch zu lernen – und zwar besser als Friedrich Merz und seine Kumpanen, die nicht einmal Genitiv und Akkusativ unterscheiden können. Sprachprüfungen für Zuwanderer mit den dazugehörigen Ausschließungsmechanismen aber finde ich ziemlich unsäglich.
* „Zuwanderer müssen sich der deutschen Leitkultur anpassen“ (Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion).
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