dvdesk: Die Männer und der Staat sahen weg
Cheryl Bradshaw (Anna Kendrick) lebt in L. A. und wartet auf ihren Durchbruch als Schauspielerin. Die Angebote sind rar, ein Vorsprechen sieht man: zwei unangenehme Männer in einem schäbigen Zimmer, die sie kurz mustern; als die die Frage nach ihrer Bereitschaft zu „Nudity“ verneint, ist die Sache gelaufen. Es sind die späten siebziger Jahre, ein Historienfilm also, und einer über den Male gaze, über die zudringlichen und mehr als zudringlichen Blicke von Männern auf Frauen. #Metoo noch in weiter Ferne, wenngleich es Cheryl an feministischem Bewusstsein nicht unbedingt fehlt. Einmal dropt sie den Namen Gloria Steinem.
An den Ort, an dem sie das tut, ist sie eher aus Verzweiflung geraten. Die Agentin hat sie, Sichtbarkeit jeder Art könne nur helfen, zum Auftritt in einer TV-Show gedrängt. Sie heißt „The Dating Game“, eine deutsche Version ist später unter dem Titel „Herzblatt“ gelaufen. Eine Frau stellt „witzige“ Fragen an drei hinter einer Wand verborgene Männer, die darauf nach Möglichkeit geistreich antworten sollen. Am Ende wählt sie den, dessen Antworten ihr am besten gefallen. Und ab zur gemeinsamen Reise.
Zum Ärger des Moderators, der ähnlich creepy daherkommt wie einst Rudi Carrell, weicht Cheryl in der Live-Sendung ab vom vorgeschriebenen Skript, in Richtung Gloria Steinem, Immanuel Kant und Relativitätstheorie. Gut ist die Wahl, die sie am Ende trifft, jedoch nicht. Der Mann, der ihr am besten gefällt, klingt wie ein Frauenversteher. In Wahrheit aber ist er Rodney Alcala, ein Killer. Als Zuschauer wissen wir das schon, denn wir sahen ihn bei seinen Verbrechen.
„The Dating Game Killer“ erzählt eine wahre Geschichte, gehört also ins Genre True Crime. Rodney Alcala hat viele, sehr viele, man weiß bis heute nicht wie viele Frauen vergewaltigt und getötet. Und er ist in „The Dating Game“ aufgetreten. Daniel Zovatto legt die Figur als einen an, der den Frauen zu schmeicheln versteht. Er hat in New York Film bei (auch wieder passend) Roman Polanski studiert, das war realiter so und wird im Film auch erwähnt. Er ist Fotograf, die Frauen fühlen sich von ihm gesehen: nicht nur buchstäblich, sondern auch im übertragenen Sinn. Sein Trick hat Effekt, weil er sich darin von den meisten der anderen Männer, von ihren Worten und ihren Blicken, so stark unterscheidet.
Der Film ist Anna Kendricks Regiedebüt. Es ist ein Film, der genau weiß, was er will, nichts am Bild der Vergangenheit ist nostalgisch verklärt. Kendrick erzählt vom Killer, aber vor allem von den Männern und ihren Blicken und Taten, nüchtern und hart. Die Fallen des „True Crime“-Genres, das Spekulative daran, versucht sie zu vermeiden. Indem sie nicht den Killer ins Zentrum rückt, und auch nicht die Ermittlung, sondern die Frauen. Indem sie einem Bilder von den Taten selbst erspart, ohne die Gewalt auszublenden. Indem sie nicht auf Grusel und Spannung setzt, sondern auf die Auflösung des Verhältnisses von Männern und Frauen in schlagende Szenen.
Es hat nicht an Frauen gefehlt, die Begegnungen mit ihm überlebten und zur Polizei gingen damals. Man hat ihnen nicht geglaubt, Rodney Alcala kam immer wieder davon. Noch während seiner Entlassung auf Kaution aus dem Knast hat er gemordet. Die Männer, der Staat, sahen weg, wieder und wieder. Der Film verdichtet das auf eine Frau, die als Zuschauerin in der Sendung den Kandidaten als Mörder einer Freundin wiedererkennt – und bei der Polizei nichts erreicht. Cheryl Bradshaw, der im Film und auch der realen, wird beim ersten Date klar, dass mit dem Typen etwas nicht stimmt. Die „Herzblatt“-Reise nach Carmel tritt sie gar nicht erst an. Und kommt mit dem Leben davon.
Ekkehard Knörer
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