dvdesk: Alle wollen, was sie nicht haben
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Minutenlang macht Fritz Lang zu Beginn erst einmal Tempo: In rasender Fahrt aus dem Führerstand eines Zugs auf die Gleise. Dann Schnitt, Zug von der Seite. Schnitt, die Kamera zwischen zwei aneinander vorbeirasenden Zügen. Dazwischen jedoch, als Kontrapunkt immer wieder: Jeff Warren (Glenn Ford) als Lokführer, der lässig herumsitzt und raucht, als könnte nichts ihn je dazu bringen, die Ruhe zu verlieren.
Es passiert eine Menge. Warren bekommt Gelegenheit, seine Coolness in der Liebe zu zeigen, und vor Gericht – wo er im Zeugenstand fast schon breitbeinig lümmelt. Und lügt. Die Liebe und das Gericht, das hängt durchaus zusammen, über die Femme Fatale dieser Geschichte, die junge und blonde und attraktive Vicki Buckley (Gloria Grahame). Ihr Mann Carl (Broderick Crawford) ist ein mittleres Tier bei der Bahn, viel älter, grobschlächtig, keiner weiß genau, was sie an ihm findet. Für ihn ist die Ehe ein Fluch: Eifersucht quält ihn.
Er verliert seinen Job und drängt seine Frau, beim Boss für ihn zu betteln. Mit diesem Boss nämlich stand Vicki in einem zunächst nicht weiter geklärten intimen Verhältnis. Vicki gibt nach, rettet Carls Job, der aber wird, statt dankbar zu sein, vor Eifersucht rasend. Im Zug tötet er den Boss, hat aber Vicki wegen eines Lockbriefs in der Hand. Die Ehe zwischen den beiden wird zur Hölle. Sie will weg, er zwingt sie zu bleiben. Sie entzieht sich seinen Versuchen, mit ihm zu schlafen. Das macht ihn verrückt.
Und sie macht sich ran an Jeff Warren. Der war, Plot sei Dank, während des Mords im Zug – und sah, wie Vicki aus dem Waggon kam, in dem der Mord geschah. Sie verdreht ihm den Kopf und stiehlt ihm das Herz, das von Rechts wegen doch Ellen Simmons (Kathleen Case) gehörte, der Tochter eines Kollegen, die ein Mädchen war, als Jeff in den Koreakrieg zog, aus dem er zu Beginn des Films zurückgekehrt ist. Nun ist Ellen eine schöne Frau. Der Kimono, den Jeff ihr aus Japan mitgebracht hat, steht ihr mehr als gut.
Das ist der Teufelskreis der fatal in die Irre gehenden Begierden: Carl begehrt Vicki, die Jeff will, der darüber Ellen vergisst. Carl hat Vicki in der Hand, die Jeff anstiftet, den Gatten zu töten. Fast kommt es so weit. Jeff zieht über die Gleise, einen massiven Totschläger in der Hand, ein vorbeifahrender Zug versperrt den Blick, man sieht nicht, was geschieht. Beachtlich der Radau, den die Musik von Daniele Amfitheatrof dazu macht, maliziös kehrt in den finstersten Momenten ein Swing-Motiv wieder, mal zu kreischenden Streichern und ratterndem Zug, mal so relaxt, wie Jeff dem Anschein nach die ganze Zeit bleibt.
Es kocht in ihm
In Wirklichkeit aber kocht es, in ihm und im Film. Es ist Fritz Lang eine Lust, die Temperatur immer weiter zu steigern. Auf die falsche Spur führt der deutsche Titel des Films: Um „Lebensgier“ geht es nicht, sondern um Sex, Verführung, Begierde, Abweisung, Eifersucht, Lust. Außer Ellen hat hier keine und keiner reine Motive, alle wollen, was sie nicht haben, fliehen ins Unglück, treiben einander an Grenzen und darüber hinaus. Der Koreakrieg ist dabei mehr als nur ein der Vorlage (einem Roman von Emile Zola, den zuvor auch Jean Renoir mit Jean Gabin schon verfilmt hat) willkürlich zugesetztes Motiv.
Wie das so sei, einen Menschen zu töten, fragt Vicki den heimgekehrten Soldaten. Ganz leicht, sagt der. Im Krieg bekommen wir Medaillen dafür. Dass nicht nur der Krieg Menschen zu Tieren macht, sondern dass Menschen in ihrer Begierde auch Tiere sind: Das will Fritz Lang mit seinem Film noir zeigen. Mission accomplished, kann man nur sagen. Ekkehard Knörer
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