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dvdeskStarkörper spielen Fischerschicksale

„La grande strada azzurra“ (Italien 1957; Regie: Gillo Pontecorvo). Die DVD ist ab 10 Euro im Handel erhältlich

Der italienische Regisseur Gillo Pontecorvo (1919–2006) wird heute vor allem wegen eines Filmes erinnert, „Die Schlacht von Algier“ von 1966, in dem er in scheinbar fast dokumentarischer, jedenfalls (neo)realistischer Manier eine Episode aus dem Algerienkrieg erzählt.

Dann gibt es noch „Kapo“ (1959), ein Konzentrationslagerdrama. Der Film ist eher berüchtigt, weil Jacques Rivette Pontecorvo für die Obszönität einer Einstellung scharf kritisiert wurde: Einmal fährt die Kamera an eine Frau, die am Zaun des Lagers stirbt, in einer Großaufnahme noch melodramatisch heran. Der Rest der Filmografie ist kaum bekannt.

Pontecorvo hatte Chemie studiert, wurde Kommunist, ging nach Paris und geriet dort als Assistent des Regisseurs (und früheren Sekretärs von Leo Trotzki), Yves Allégret, ans Kino. Zurück in Italien war er im Widerstand in Mailand und im Jahr 1957, in dem „Die Schlacht von Algier“ spielt, drehte er seinen Debütfilm, der jetzt in einer DVD-Edition wieder zugänglich ist: „La grande strada azzurra“, zu Deutsch „Die große blaue Straße“ – was mit dem realen deutschen Titel „Das Leben ist ohne Gnade“ wenig zu tun hat.

Abseits vom Hauptstrom

Der Film ist mit Stars wie Yves Montand und Alida Valli besetzt, also keineswegs der unscheinbare Beginn einer Karriere, die auch in der Folge abseits der heute kanonisierten ästhetischen Hauptströmungen des italienischen Kinos verlief. Der damals einflussreiche Produzent Maleno Malenotti wird als Koregisseur geführt; vermutlich hat das wenig zu sagen, er trat sonst nie als Regisseur ­hervor. Dafür hat sein Sohn Roberto 1971 den berühmten Coca-Cola-„Hilltop“-Werbespot gedreht, der die „Mad Men“-Saga beschließt. Aber das ist eine andere Geschichte.

So wenig sie in den Autorenfilmkanon der Reihe Rossellini-Antonioni-Fellini passt, so typisch ist Pontecorvos Karriere doch in manchem für die italienische Filmindustrie. In großen Produktionen erzählte Pontecorvo marxistisch grundierte Geschichten, in der Regel auf dramatische Zuspitzung bedacht, im neorealistisch beeinflussten Großstudiostil. Es liegen lange Pausen zwischen den Filmen, weil er mit seinem Drehbuchautor Franco Solinas – Verfasser der Romanvorlage zu „La grande strada azzurra“ – oft aufwendig recherchierte: Pontecorvo sucht das große Drama, aber streng faktenbasiert.

Pontecorvo erzählte marxistisch grundierte Geschichten, die auf Zuspitzung bedacht waren

Das gilt bereits für das Debüt. Erzählt wird von einer Fischergemeinschaft auf einer Insel vor der adriatischen Küste. Die Zeiten sind schlecht, die Fischerei mit den Netzen bringt nicht mehr viel. So greift Giovanni Squarciò, Vater dreier Kinder, zu verbotenen Mitteln und ernährt seine Familie mithilfe der Dynamitfischerei. Sie ist effektiver, aber auch egoistischer: Würden alle so fischen, wäre das Meer rund um die Inseln bald leer. So wird Squarciò, obwohl durchaus respektiert, zum Außenseiter in der Gemeinschaft der Fischer. Er entzieht sich auch den Bemühungen seines Freundes Salvatore, eine Kooperative gegen den halsabschneiderischen Großhändler zu gründen.

In dieser auf private Beziehungen abgebildeten ökonomischen Analyse, die ganz auf den konkreten Ort und die dort lebenden Figuren konzentriert ist, liegt der Kern der Geschichte: Starkörper performen Fischerschicksale.

In „Die Schlacht von Algier“ wird Pontecorvo dann einmal ganz ohne Stars und fast ohne Profischauspieler auskommen – und die Hauptrolle mit einem algerischen Bauern besetzen, den er beim Einkaufen entdeckt hatte. „La grande strada azzurra“ ist da von sehr viel größerer Romanhaftigkeit, mit Liebesgeschichte, Tauchdrama und rasender Bootsfahrt mit Tuckermotor – sicher nur eine Fußnote der Filmgeschichte, aber doch klassisches Kino in schöner Form. Ekkehard Knörer

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