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doppelblindWie Bakterien in Minuten diagnostiziert werden

Worum geht’s?

Zeit ist in der Infektiologie die wichtigste Währung. Wenn es um Therapiemöglichkeiten für Pa­ti­en­t:in­nen geht, sind häufig wenige Stunden entscheidend. Dafür muss aber eine Diagnose stehen, und die ist oft noch sehr langwierig. Der Grund: Zur Identifikation bakterieller Infektionen werden bislang in einem aufwendigen Verfahren Bakterienkulturen angelegt, und diese müssen erst mal wachsen. Bei der Tuberkulose etwa, weiterhin eine der tödlichsten Infektionskrankheiten weltweit, kann die Diagnose bis zu acht Wochen dauern. Das könnte sich nun grundlegend ändern.

Die Studie

Mit einem bisher ungenutzten Verfahren könnte die Diagnose erstmals auf wenige Minuten verkürzt werden, wie eine gemeinsame Studie der TU München und des Imperial College London in der Fachzeitschrift Nature Communications zeigt. Statt die Bakterien direkt nachzuweisen, analysierten die Forschenden ihre Stoffwechselprodukte. Diese können als Biomarker dienen, also als spezifische unterschiedliche Eigenschaften, anhand derer sich Bakterienstämme unterscheiden lassen.

Um die Produkte zu erkennen, nutzten sie die Massenspektrometrie, ein technisches Verfahren, in dem die Masse von Atomen und Molekülen bestimmt wird. Die Erreger lassen sich so je nach Infektionsort anhand von Blut-, Gewebe-, Urin- oder Stuhlproben bestimmen. Für die Diagnose griffen die For­sche­r:in­nen auf eine zentrale Datenbank zurück, in der bislang 232 medizinisch besonders wichtige Bakterienspezies und ihre spezifischen Stoffwechselprodukte erfasst sind. Denn die diagnostische Forschung stützt sich heute viel mehr als noch vor einigen Jahren auf Datenbanken. So war es nur konsequent, diese mit der Massenspektrometrie zu verbinden, da die nötigen Geräte bereits in vielen Kliniken stehen.

Was bringt’s?

Könnten Diagnosen von Bakterien tatsächlich beschleunigt werden, würde das Leben retten. Denn durch sie könnte die Behandlung mit den nötigen Medikamenten schneller beginnen, die Ausbreitung der Bakterien im Körper verhindert, und Ansteckungsketten, etwa bei Tuberkulose, könnten frühzeitig unterbrochen werden. Gleichzeitig verbessern sich die Abläufe im Gesundheitswesen, Therapien können zielgerichteter und effizienter eingeleitet werden.

Besonders vielversprechend ist, dass mit der Methode klinisch relevante Bakterien erkannt werden können, darunter Erreger von Gonorrhö, Lungenentzündung oder Blutvergiftung, aber auch solche, die mit Magenkrebs oder Frühgeburten in Verbindung stehen.

Neue wissenschaftliche Studien stellen wir jede Woche an dieser Stelle vor – und erklären, welchen Fortschritt sie bringen. Sie wollen die Studie im Internet finden? Jede hat einen Code, hier lautet er: doi.org/10.1038/s41467-024-55457-7

Im nächsten wichtigen Schritt muss die Datenbank aber noch weiter ausgebaut werden. Bislang sind den Forschenden zufolge mehr als 1.400 bakterielle Krankheitserreger bekannt. Deren spezifischen Stoffwechselprodukte gilt es nun genauer zu erfassen. Doch zuletzt ist das neue Verfahren nur so wirksam wie die existierenden Therapiemöglichkeiten. Auch um herauszufinden, ob die Bakterien bestimmte Antibiotikaresistenzen aufweisen, müssen diese weiterhin in Bakterienkulturen in der Petrischale getestet werden. Tobias Würtz

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