doppelblind: Mondsüchtige Mangroven
Fluten und Sedimentbildung werden stark davon beeinflusst, wo der Mond steht. Das ist klar, Ebbe und Flut sind allen bekannt. Es gibt aber auch weit langfristigere Zyklen des Mondes in seinem Verhältnis zur Erde, die ebenso wichtig für die Ökosysteme der Erde sind. Forscher*innen haben nun herausgefunden, dass zum Beispiel die Mangrovenwälder Australiens sich ausdehnen oder schrumpfen, je nachdem wie Mond und Erde zueinander stehen. Die dazugehörige Studie erschien im Fachmagazin Science Advances.
Es geht dabei um zwei Zyklen: Der erste wiederholt sich alle 18,61 Jahre und nennt sich Nutation, im englischen Sprachraum hat sich unter Wissenschaftler*innen das umgangssprachliche „lunar wobble“, grob übersetzt „Mondwackeln“ etabliert. „Wackeln“ meint, dass sich der Winkel der Umlaufbahn des Mondes zur Erdachse verändert. Etwa neuneinhalb Jahre lang nimmt deswegen, von einem bestimmten Punkt der Erde aus betrachtet, der Tidenhub zu, und neuneinhalb Jahre wieder ab, weil der Mond sich diesem Punkt nähert oder sich entfernt. Der Tidenhub ist der Unterschied zwischen dem höchsten Punkt der Flut und dem niedrigsten Punkt der Ebbe.
Der zweite Zyklus wiederholt sich etwa alle 8,8 Jahre und hängt damit zusammen, dass sich die Umlaufbahn des Mondes um die Erde dreht.
Die beiden Zyklen wirken nicht an allen Orten gleich, weil sich aufgrund der Geografie verschiedener Küsten die Gezeiten anders verhalten. In Australien sorgten aber beide Zyklen für eine um 10 bis 20 Zentimeter höhere Flut, am Golf von Carpentaria im Norden Australiens zusammen sogar für um 30 bis 40 Zentimeter steigendes Hochwasser.
Mangroven wachsen in Feuchtgebieten, die zwischen dem durchschnittlichen Meeresspiegel und durchschnittlichen Hochwassern entstehen. Die Forscher*innen sind deswegen davon ausgegangen, dass sie von den beiden Zyklen, die ja auf das Hochwasser wirken, stark beeinflusst werden. Dafür haben sie auf der Grundlage von Satellitenbildern die Veränderung der Mangrovenausdehnung und des Blätterdachs der Mangroven verglichen mit den niedrigsten monatlichen Hochwassern, und diese Beobachtungen wiederum mit dem modellierten Einfluss der beiden Zyklen verglichen.
Das Ergebnis: Je höher der Tidenhub, desto stärker wachsen die Mangrovenwälder. Laut ihrem Modell lassen sich am Golf von Carpentaria, wo der Einfluss der Zyklen am größten ist, sogar 90 Prozent des Wachstums von Mangroven auf die Zyklen zurückführen.
Die Forschung ist auch deshalb relevant, weil Mangroven große Mengen an Kohlenstoffdioxid binden und bei steigendem Meeresspiegel und zunehmender CO2-Konzentration bis zu einem bestimmten Punkt immer bessere Bedingungen für ihr Wachstum vorfinden. Um diesen Effekt korrekt berechnen zu können, ist solcherart Grundlagenforschung, nun ja, grundlegend. Denn dass der Mond Ebbe und Flut beeinflusst, mag jedes Kind wissen. Aber sein Einfluss auf Ökosysteme liegt weit weniger auf der Hand.
Jonas Waack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen