dördedördör*: Tschüß Ostfriesland
Schkandaal im Sprachbezirk
Sensible Sprachforscher weisen immer wieder darauf hin: Stirbt eine Sprache, droht auch der dazugehörigen Kultur der Untergang. Wäre das so, dann stünde die ostfriesische Kultur am Abgrund. Denn das kulturelle Ereignis schlechthin, die Sprache, ist in Ostfriesland in Gefahr.
Der Grund: „Plattdeutsch ist nicht normiert. Seit dem Mittelalter gibt es keine Einrichtung, die Regeln und Normen setzt. So gliedert sich das Niederdeutsche in Westniederdeutsch und Ostniederdeutsch. Das Westniederdeutsche wiederum in Nordniedersächsisch, westfälisch und ostfälisch. Das Nordniedersächsische besteht wiederum aus sieben Sprachregionen - eine davon ist Ostfriesland. Aber auch Ostfriesland hat eine deutliche Sprachgrenze, die mitten durch das Land verläuft: Im Westen wohnen de Lü in Husen un proten Platt, im Osten wahnt de Lüüd in Hüüs un snack Platt.
Womit wir bei Helmut und Hanna wären. 40 Jahre sind die beiden glücklich verheiratet, haben Freud und Leid geteilt. Alle Schwüre jedoch vergisst Helmut, wenn es um die korrekte Aussprache eines plattdeutschen Wortes geht. Zum Beispiel das Wort Schule, so meint Helmut, müsse „skol“ mit offenem „o“ ausgesprochen werden. Hanna korrigiert auf ihre sanfte aber bestimmte Art: „Nein Helmut, das heisst skiaul!“ Alles Belehren nutzt Helmut nichts. Wenn die Verzweiflung in blanke Wut umzukippen droht, pflegt er sich resigniert zu seinen Zuhörern zu beugen und zu flüstern: „Hanna kann das ja gar nicht wissen, die ist nicht von hier, die kommt aus einem Dorf mehr als drei Kilometer von hier.“
Vollends zum Desaster wird das gemütliche Teegespräch, wenn Hinni, drei Häuser weiter, mitspielt. Hinni kommt aus dem Rheiderland (circa zehn km weiter). Hinni ist ein Schlitzohr. Er bietet dir freundlich ein Bier an und tut so, als wärest du sein bester Freund. Dann aber zieht er dich dezent am Ärmel und wispert dir ins Ohr: „Mus nich glauben was die sagen. Es heißt Schol (Umschrift). Was anners gibt das nich.“
Als wäre dies alles noch nicht alarmierend genug, wurde jetzt ein Skandal mitten im ostfriesischen Herzen ruchbar. Die Ostfriesische Landschaft in Aurich, einst Vertretung der Stände gegen den Adel, heute Kulturinstitut und Hüterin alles Ostfriesischen (und damit auch der Sprache), hat in ihren Gebäuden nur hochdeutsche Wegweiser. Nieder mit dem „Eingang“, fordern jetzt die Sprachhüter, und ein „Dor geit in“. Aber auch der Briefkopf der ehrenwerten Institution ist einsprachig. Natürlich hochdeutsch! Über eine Sanierung des Briefkopfes wird zwar diskutiert, die Einsprachler scheinen sich aber durchsetzen zu können.
Ostfriesische Sprachfreiheitskämpfer vermuten dahinter Strategie. Während der Präsident der Landschaft, Carl Ewen, früher als Bundestagsabgeordneter zur Verzückung seiner WählerInnen schon mal Bundestagsdebatten auf Plattdeutsch führte, ist es eher still um den Geschäftsführer der Landschaft, Hajo van Lengen. Das Gerücht: van Lengen trage seinen ostfriesischen Namen nur zur Tarnung, in Wirklichkeit sei er Einsprachler. Nu aber! Bislang hat Hajo van Lengen das klärende – plattdeutsche – Wort noch nicht gesprochen. Wenn das so bleibt, tschüß Ostfriesland...
Thomas Schumacher
*„Dör de dör dör“ heißt: „durch eine Tür durchgehen“. Dabei ist nicht unbedingt klar, ob die Tür offen steht oder nicht. Ostfriesen mögen solche Spitzfindigkeiten nicht
Thomas Schumacher gibt im Herbst das erste Reiselesebuch über das niederländische und deutsche Friesland der Ems-Dollart-Region heraus (Ed.Temmen).
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