die wahrheit: Der homosexuelle Mann von ELMAR KRAUSHAAR
in Berlin kann durchatmen, die heilige Woche ist vorbei, der Festtagsgruß "Happy Gay Pride" verklungen. Die Stadt war voll in diesen Tagen zwischen Stadtfest und Parade...
in Berlin kann durchatmen, die heilige Woche ist vorbei, der Festtagsgruß "Happy Gay Pride" verklungen. Die Stadt war voll in diesen Tagen zwischen Stadtfest und Parade, der Golfstrom rund um den Schöneberger Nollendorfplatz wurde für eine Woche bevölkert von schwulen Gästen aus aller Welt. Nur an den Sprachen ließen sie sich unterscheiden, im Aussehen ist sich der urbane Homosexuelle überall gleich: Das Haar ganz kurz oder gar nicht, schwere oder sportive Schuhe und T-Shirts, die keine Zweifel lassen am Jahresabo in der Muckibude - männlich eben, männlich, männlich.
Berlins Tourismusoffensive in der schwulen Welt funktioniert, die Stadt ist zur Marke geworden. "Toleranz und Akzeptanz sind harte Wirtschaftsfaktoren!", nennt das der Regierende Bürgermeister, und ist dafür populär bei den Schwulen, weit über die nationale Grenze hinaus. Ein schwuler Bürgermeister an der Spitze der Hauptstadt scheint der Garant für eine Orgie ohne Ende, für geile Kerle rund um die Uhr. Der schwule "Berliner" (amerikanisch gesprochen) rangiert im globalen Sexbusiness inzwischen als eigene Kategorie zwischen Latinos, Twinks, Military und Straight Men. In Barcelona eröffnet demnächst "Berlin Dark", ein "Hard Men's Club", und im Internet finden sich immer mehr Seiten, die die körperlichen Reize des Berliners preisen.
Deutschlands wichtigste Pornoproduzenten für den weltweiten Homo-Markt - Cazzo, Wurstfilm und Spritzz - kommen aus Berlin, und ihre erfolgreichen Filme heißen "Berlin privat" und "Berlin Youngsterz". Darin wird der Mythos vom großstädtischen, aber naturgeilen Mann verhökert, vom jungen, aber erfahrenen Boy. Der Prototyp dieser fleischgewordenen Fantasie kommt aus den Plattenbausiedlungen in Hellersdorf oder Marzahn und erinnert deutlich an die Buben-Ideale eines Klaus Mann oder Christopher Isherwood aus den Zwanzigerjahren, die in ihren Texten gern von den proletarischen Jungs aus den Berliner Vorstädten schwärmen. Moderne und verklärte Historie finden zueinander.
Genau da liegt ein Grund für den Berlin-Erfolg, die Mythen der längst vergangenen, befreiten Tage werden zu neuem Leben erweckt in zeitgemäßen Figuren und Fantasien. Und das dürfte auch den Tourismus-Experten der Stadt klar sein, die so enthusiastisch umworbenen Gäste vom anderen Ufer kommen nicht wegen der Museumsinsel oder wegen des Brandenburger Tors. Die verdunkelten Keller sind die Attraktion, die nachmitternächtliche Inspektion der Büsche rund um die Siegessäule, die Vielfalt der Fetische im weitverzweigten Netzwerk schwuler Clubs und Kneipen.
Davon träumen die homosexuellen Männer in Helsinki und Marseille, in Boston und Newcastle, in Madrid und Mailand. Und wandern, auch darüber sollte sich niemand täuschen, in dem Moment wieder ab, wo irgendein anderer Ort die gleichen Versprechen auf schnellen und repressionsfreien Sex erfüllt. Schwule Männer - das steht in ihren Genen wie ihr Hang zu billigen Dramen und teuren Unterhosen - lieben den Wechsel und sind nur solange treu wie nötig. Berlin ist derzeit ihre Hauptstadt und Klaus Wowereit ihr Meister, aber das kann sich schon ändern in der nächsten Saison.
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