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die wahrheitMein Traumberuf: Mörder

Spätestens im nächsten Leben werde ich von Beruf Mörder. In dem amerikanischen Thriller "Sea of Love" trifft der Polizist Al Pacino auf die Schuhverkäuferin Ellen Barkin und...

Spätestens im nächsten Leben werde ich von Beruf Mörder. In dem amerikanischen Thriller "Sea of Love" trifft der Polizist Al Pacino auf die Schuhverkäuferin Ellen Barkin und verschweigt ihr, dass er von Beruf Polizist ist. Nicht nur, weil er sie als Verdächtige bei der Fahndung nach einem Serienmörder kennenlernt, sondern auch, weil er genau die Folgen kennt: Wenn er einer Frau bei einem Rendezvous erzählt, dass er Polizist ist, wird es nichts mit der Liebesaffäre.

Kürzlich stürzte eine alte Klassenkameradin in einem Lokal auf mich zu. Ich hatte sie wohl 15 Jahre nicht gesehen, und bevor ich noch "Guten Tag" sagen konnte, schrie sie: "Ich schreibe einen Artikel für dich!" Alle Gäste in dem Lokal drehten sich nach uns um. "Du bist doch jetzt bei einer Zeitung!", schrie sie lauthals. "Ich schreibe dir etwas über unsere Farm", schrie sie noch lauter, und ich erfuhr, dass sie irgendwo in Australien Strauße züchtet. Erst sehr viel später fiel mir ein, wie sie hieß. Einen Artikel bekam ich zum Glück nie.

Inzwischen verschweige ich wie Al Pacino im Film gern im wirklichen Leben meinen Beruf. Nicht wegen irgendwelcher Techtelmechtel, die schiefgehen könnten. Aber wegen der immer gleichen Folgen: Jeder will Artikel schreiben. Wobei es auch Ausnahmen gibt. Friseure sagen gar nichts, wenn sie mitbekommen, dass man Zeitungsredakteur ist. Entweder sie haben keine Themen, oder sie kennen sich gut aus mit Vorurteilen über Berufe.

Ganz anders sind da Ärzte, die immer nur das eine wollen: Gesundheitsreform. Die Gesundheitsreform ist für Ärzte das, was für Normalsterbliche Sex ist. Wenn Ärzte erfahren, dass man bei einer Zeitung arbeitet, dann kommt wie aus dem Klistier geschossen die Frage: "Soll ich Ihnen mal etwas zur Gesundheitsreform schreiben?" Dankend lehne ich stets ab und behaupte, dass die Gesundheitsreform nicht in mein Ressort fällt: "Sie sind doch auch kein Urologe", bemerke ich - mit dem Erfolg, dass der Weißkittel mich noch Jahre später schief anschaut.

Am vergangenen Wochenende wurde ich dann in eine Falle gelockt. Ich kaufte bei meinem Zeitungshändler mehrere Konkurrenzblätter. Der Händler aber mokierte sich ein wenig über die breite Mischung von Bild bis Süddeutsche. "Die brauche ich zur Feindbeobachtung!", erklärte ich - und schon war es zu spät: "Ach, Sie sind auch Journalist. Ich hätte da ein spannendes Thema für Ihre Zeitung: Kleingeld." Kleingeld mag eines der spannendsten Themen der Welt sein, aber bitte nicht für mich. "Ich schreibe Ihnen einen Artikel darüber", zog der Zeitungshändler routiniert die Daumenschrauben an und ließ nicht locker. In einem rund 20-minütigen Vortrag breitete er mir alle Aspekte des Thrillerthemas aus: Dass er Kleingeld gar nicht mehr annehme, da die Gebühren bei der Einzahlung in der Bank höher seien als die Summe und so weiter

Jedes Mal, wenn ich jetzt den Laden betrete, informiert er mich ernst über seine Fortschritte: "Ich habe schon dreieinhalb DIN-A4-Seiten geschrieben." Also werden entweder Sie, liebe Leser, demnächst in Ihrer Zeitung einen spannenden Artikel über Kleingeld lesen, oder ich muss den Laden wechseln, oder ich ziehe meine Zukunftspläne vor und werde nicht erst im nächsten Leben Berufsmörder.

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