die wahrheit: Gedopte Lemminge mit Beichtzwang
Fast alle britischen Labour-Minister haben zugegeben in ihrer Jugend Cannabis geraucht zu haben. Die Tories würden gerne Kapital daraus schlagen, aber ihr Parteichef hat sich früher womöglich noch härteren Stoff reingepfiffen
D ie britischen Regierungsmitglieder sind die Radrennfahrer der Politik. Wie im Radsport, so hat auch bei ihnen das erste Dopinggeständnis eine Beichtlawine losgetreten. Offenbar setzen sie auf den Zabel-Effekt. Dessen Popularität ist nach seinem tränenreichen Geständnis sprunghaft gestiegen. Fast die gesamte britische Regierung hat gedopt. Als Erste trat Innenministerin Jacqui Smith vergangene Woche an die Öffentlichkeit. "Ja, ich habe es getan", sagte sie, allerdings ohne dabei zabelesk zu weinen. "Es geschah, als ich auf der Universität war. Ich halte das heute für falsch und habe es seit 25 Jahren nicht mehr getan." Als Nächster war Schatzkanzler Alistair Darling dran: "Ich habe es manchmal in meiner Jugend getan."
Dann warfen sie sich wie die Lemminge vor die Kamera: Transportministerin Ruth Kelly, Unternehmensminister John Hutton, Staatssekretär Andy Burnham, Gemeindeministerin Hazel Blears und Wohnungsministerin Yvette Cooper. Die bisher Letzten, die öffentlich bereuten, waren Staatssekretär John Denham und die stellvertretende Labour-Chefin Harriet Harman. War auch Tony Blair gedopt, als er in den Irakkrieg zog? Er bestreitet es: "Mein Vater hat es mir verboten." Insgesamt haben jedenfalls mindestens neun Kabinettsmitglieder gedopt.
Freilich haben sie sich nicht mit Amphetaminen, Testosteron oder Eigenblut vollgepumpt, sondern mit Cannabis. Die Tories würden das Geständnis-Happening gern ausnutzen, um die letzten drei Wahlen annullieren zu lassen, aber sie können es nicht. Zum einen gibt es Gerüchte, wonach Parteichef David Cameron sich in seiner Jugend gar nicht erst mit solchen Kinkerlitzchen aufgehalten, sondern gleich härtere Drogen genommen habe. Zum anderen hat ein halbes Dutzend der Top-Tories in der Vergangenheit zugegeben, ebenfalls Cannabis geraucht zu haben. Fünf von ihnen wollen nur ein einziges Mal an einem Joint gezogen haben, mussten husten und fanden es widerlich.
Nur Boris Johnson, der für das Amt des Londoner Bürgermeisters kandidiert, erklärte, regelmäßig einen Joint durchgezogen und auch Kokain geschnupft zu haben. "Ich erinnere mich genau", sagte er. "Es war großartig. Aber heutzutage ist das anders. Das Zeug ist jetzt viel stärker." Er meint, man müsse nun einen Strich unter die Vergangenheit ziehen. Oder eine Linie? Jacqui Smith, die den Beichttrieb bei Labour ausgelöst hat, will zum Beweis ihrer Läuterung in dieser Woche Cannabis wieder zur Droge der zweithöchsten Klasse B machen, deren Besitz eine Verhaftung nach sich zieht. Vor drei Jahren wurde es auf Klasse C heruntergestuft. Das Kraut gehört offenbar zur Standardausrüstung britischer Innenminister. Einer von Smiths Vorgängern, Charles Clarke hat früher Joints geraucht. Bei dem anderen, John Reid, fand die Polizei Cannabis, das ihm jemand untergeschoben haben müsse, wie Reid mit ernster Miene versicherte.
Und auf welcher Droge ist Innenminister Wolfgang Schäuble? Cannabis kann es es nicht sein. Davon wird man nicht hysterisch und bekommt Schaum vorm Mund, wenn das Wort "Terrorismus" fällt. Vermutlich hat sich der Rollstuhlfahrer bei seinen flinken Zweiradkollegen Aufputschmittel besorgt.
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