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die wahrheitLiebeshändel im Kabinett

Die immer wunderlicher werdende Geschichte, die dem Oberstleutnant Reuss widerfuhr.

Vor einigen Wochen berichtete die Wahrheit aus den Kreisen der Gesellschaft (Die Wahrheit vom 29. September, 17. November und 15. Dezember 2006 sowie am 16. April und 9. Mai 2007). Nun ist es der Redaktion gelungen, mehr in Erfahrung zu bringen über den umtriebigen Oberstleutnant Reuss und darüber, wie sich die äußerst wunderliche Geschichte seiner Liebeshändeleien fortsetzt.

"Bitte, so fahren Sie doch fort", forderte der Intendanzrat Dr. Demetrius Weber den Generaldirektor Gretz auf. "Mich - und ich glaube auch im Namen des verehrten Herrn Notarius C. F. von Schiepenbeck sprechen zu dürfen -, uns also drängt es, zu erfahren, welch eine wunderliche Geschichte dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag denn nun widerfahren ist."

Die Damen hatten sich zurückgezogen, um ein wenig zu ruhen, denn die Bediensteten hatten üppig aufgetragen. Auch waren die Damen nach dem nachmittäglichen Spaziergang um die entzückende Teichanlage aufgeregt und sehr hungrig gewesen. So viele Abenteuer hatten sie erlebt: Ein Frosch war am Teichesrand gesessen und hatte lustig gequakt, ein Fischlein war im Wasser gesprungen und sogar ein wildes Kaninchen hatten sie entdeckt. Auch mussten selbstverständlich all die neuen, spannenden Modenovitäten ausgiebig besprochen werden, und nicht zuletzt hatte man sich leicht errötend und verlegen kichernd unter den weißen Sonnenschirmchen aus zarter Zierspitze über den aktuellen Gesellschaftsklatsch aus der Stadt und die erregenden unanständigen Skandälchen ausgetauscht, die zurzeit das erste Thema aller anständigen und ehrenwerten Bürgerinnen waren.

All diese Anregungen hatten den Appetit der fröhlichen Plappermäulchen auf das Äußerste angestoßen, und so hatten sie am Abend über Sauerbraten und Backhähnchen, Gemüsesalat und Sonntagssuppe, Tafelspitz und Napfkuchen derart erfreut sich gezeigt, dass der Intendanzrat Dr. Demetrius Weber sich eine kleine, spitze, wenngleich auch liebevolle Bemerkung über den gesunden Hunger der Horden des Dschinghis Khan nach erfolgreichem Beutezug nicht hatte verkneifen können.

Nun, da die Damen sich also zur Ruhe begeben hatten, um den zarten Teint durch wohligen und gesunden Schlaf zu erfrischen, war die Gelegenheit für die Herren Intendanzrat Dr. Demetrius Weber, Generaldirektor Gretz und Notarius C. F. von Schiepenbeck günstig, sich weiter in der etwas pikanten Angelegenheit zu besprechen, die dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag widerfahren war und über die sich auszutauschen im Beisein keuscher Damenohren alles andere als schicklich oder angebracht gewesen wäre.

In gemütlicher Runde hatten sich die Herren abermals im Rauchzimmer zusammengefunden, um bei dem Genuss teurer und wohlschmeckender Zigarren und einiger Gläschen kostbaren Portweins - ein Geschenk des Leiters des Landvermessungsamtes an den Notarius C. F. von Schiepenbeck, als Dank für die Beglaubigung einer interpretationsfähigen Vermessungsangelegenheit -, in dieser anheimelnden Atmosphäre also schickte sich der Generaldirektor Gretz nun an, mit seiner Erzählung fortzufahren:

"Sie werden sich erinnern, liebe Freunde", so sprach also der Generaldirektor, "Sie werden sich erinnern, dass der all seiner Sinne beraubte Oberstleutnant Reuss auf dem Gutshof des Freiherrn von Troy sich auf die Spur von dessen katzenhaften Töchterlein Charlotte gesetzt hatte, der er mit Leib und Seele verfallen - ja, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, und ebendieses durchtriebene, nichts desto weniger anmutige Geschöpf im Arbeitszimmer des Gutsherrn beim vertrauten Gespräche mit dem Hallodri und Schwerenöter Arthur Schickel vorfand."

Generaldirektor Gretz nahm genüsslich einen Schluck Portwein, bevor er fortfuhr: "All dies Abschweifungen, liebe Freunde, sind vonnöten, damit Sie später die genauen Zusammenhänge der wunderlichen Geschichte um den Oberstleutnant Reuss und die kleine Gattin des braven Soldaten Lindow ganz fassen und begreifen können. Der Oberstleutnant also - Manöver, Stand und Würde vergessend - belauschte, hinter der Türe verborgen, was er lieber nicht hätte hören sollen. Das angebetete Charlöttchen kicherte und scherzte mit dem Schickel, und Gegenstand dieses offensichtlich großen Spaßes war kein Geringerer als er, der Oberstleutnant selbst, dessen bedingungslose Hingabe und Verehrung für Charlotte keineswegs unentdeckt geblieben war, und nun zum Spielball der beiden Verschwörer im Arbeitszimmer werden sollte, denn schon waren das Kätzchen und der Hund dabei, Pläne zu schmieden, wie sie denn aus des Leutnants Sinnesverwirrung das für sie größtmögliche Amusement zu ziehen vermochten. Geschlagen, gedemütigt und zu Tode gestoßen war dem Oberstleutnant hinter der Türe schwarz vor Augen geworden, beinahe hätte er endgültig das Bewusstsein verloren. Fluchtartig verließ er nun sein Versteck und stürmte ins nächste Wirtshaus, um seinen übergroßen Schmerz zu betäuben. Und dort traf er auf das etwas leichte Mädchen Magdalene "

Die große Standuhr im Rauchzimmer schlug Mitternacht. Man beschloss zu der späten Stunde, sich zu vertagen. Der Generaldirektor Gretz zwinkerte den Herren Notarius C. F. von Schiepenbeck und dem Intendanzrat Dr. Demetrius Weber verschworen zu. Er würde die wunderliche Geschichte, die dem Oberstleutnant Reuss am vergangenen Dienstag widerfahren war, demnächst weitererzählen

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