die wahrheit: Essen wie in der Steinzeit
Fächler, Kämpfer, Mischer, Schlinger - die Archetypen menschlicher Nahrungsaufnahme.
Im Restaurant sehen wir fremden Menschen beim Essen zu und wundern uns. Der eine panscht in der Suppe, der Nächste schmatzt, andere schlingen blitzschnell alles runter und werfen dabei böse Blicke umher. Uralte Muster, die hier wirksam sind, sagt Prof. Dr. Stefan Nöthner: "Die Archetypen des Essens sind seit zehntausenden von Jahren genetisch gespeichert und gehen zurück auf den Alltag in der Steinzeit." Nöthner ist Leiter des Instituts für Paläontologische Anthropologie im Neandertal bei Mettmann.
Während sich die Kollegen von der Abteilung für "Ziemlich Alte Geschichte" mit den Europapokalspielen von Fortuna Düsseldorf beschäftigen, hat Nöthner mit seinem Team für "Kürzlich Erst Passierte Geschichte" die Essgewohnheiten unserer Vorfahren analysiert. Anhand einer Radiokarbonanalyse und den Fundstellen menschlicher Knochen in verschiedenen Höhlen kann man jetzt, so Nöthner, vier Grundtypen der Nahrungsaufnahme bestimmen.
"Als Erstes waren wir uns sicher beim Schmatzenden Schlinger", berichtet Nöthner. "Schmatzende Schlinger erkennen wir heute daran, dass sie in der Nähe der Tür sitzen, unablässig umherspähen und ihr Essen in sich hinein schaufeln, ohne es eines Blickes zu würdigen." Wenn die Tür zum Restaurant aufgeht, zuckt der Schmatzende Schlinger zusammen, wirft einen wilden Blick in alle Richtungen und schlingt dann weiter. Er isst meistens allein, denn er hat keine Zeit zu reden oder seine Begleitung eines Blickes zu würdigen. Nöthner erklärt: "Vor 40.000 Jahren saß der Schmatzende Schlinger meist in der Nähe des Höhleneingangs. Er war sehr nervös, denn er war es, der als Erster gefressen wurde, wenn der Säbelzahntiger angriff: Außerdem musste er immer nachsehen, wer da war, wenn es klopfte." Identifiziert wurde der Schmatzende Schlinger anhand der häufig auftretenden Kombination von Magengeschwüren und zerbissenen Knochen.
Zweiter Typus ist der Feurige Fächler. Er saß in unmittelbarer Nähe des Höhlenfeuers, liebte es schön warm und kam, wie man anhand von versteinertem Zahnbelag feststellen konnte, als Erstes auf die Idee, Fleisch zu garen. Der Feurige Fächler starb zumeist an den karzinogenen Röststoffen, die unser Grillfleisch auch heute so schön aromatisch machen. Häufig verbrannte er auch bei lebendigem Leib. Wahrscheinlich wurde eine frühe Form der Epilation entdeckt, als die Körperbehaarung eines Feurigen Fächlers abgefackelt wurde und dieser überlebte. Heutzutage bevorzugt dieser Typ Restaurants mit offener Küche und am Tisch flambierte Gerichte. Wenn es der Kellner nicht merkt, sengen sich Feurige Fächler schnell die Armbehaarung ab und der Brandgeruch setzt archaische Glücksgefühle frei.
Weiter weg vom Feuer verortet Nöthner die Kauenden Kämpfer. Sie führten einen Kampf auf Leben und Tod mit ihrem Essen. In ihrer animistischen Vorstellungswelt musste das Essen verzehrt werden, sonst würden die Reste bei Nacht den Esser zernagen. Kauende Kämpfer hauen auch heute noch die letzte Cherrytomate zu Brei, fixieren ihr Essen ohne Gnade, drehen ständig an ihrem Teller, um nicht in einen Hinterhalt zu geraten und blicken satt und beruhigt erst auf, wenn das letzte Krümelchen verputzt ist. Nöthner vermutet, dass irgendwann später in der Gattungsgeschichte ein lupenrein leer gegessener Teller Kultobjekt war und eine Himmelsscheibe darstellte. Daher stammt auch die heute noch verbreitete Erziehungsmethode, Kindern zu sagen, das Wetter werde schön, wenn sie alles aufessen. Ein Folgeprojekt soll diese Theorie genauer überprüfen. In einer Serie von narrativen Interviews werden dazu 120 Kauende Kämpfer der Jetztzeit befragt.
Am besten platziert, sicher vor Angriffen von außen, weit genug weg vom Feuer, saßen die Melancholischen Mischer. Sie litten still an ihrem relativ risikoarmen und langweiligen Leben, hatten auf der anderen Seite jedoch genügend Zeit, um über das Dasein eines Steinzeitmenschen nachzudenken. Professor Nöthner vermutet, dass ein entscheidender Motor auf dem Weg in die Moderne genervte Melancholische Mischer waren, die es leid waren, dass es beim heiteren Beruferaten immer nur "Jäger" und "Sammler" gab. Sie dachten sich neue Berufe aus, Säbelzahntigerdompteur, von dem keiner Lust hatte, es zu werden, oder Facility Manager, von dem keiner wusste, was es war. Beim Essen brauchte der melancholische Mischer meist sehr lang, manchmal wurde er auch gar nicht fertig und verschmierte den Speisebrei an den Höhlenwänden. Die berühmten Zeichnungen in der Höhle von Lascaux wurden mit einer halb zerkauten steinzeitlichen Form des Spinats angefertigt. Heute vergraben Melancholische Mischer die Bratwürste im Sauerkraut, bauen kleine Deiche aus den Kartoffeln und ordnen Erbsen und Zucchini als Himmelskonstellationen an, die, wir ahnen es schon, genetisch abgespeichert sind.
Wer das nächste Mal in der Kantine die Nase rümpft, weil sein Gegenüber das Salatblatt in tausend Stücke zerfetzt, sollte großzügig sein. Es ist ein Kauender Kämpfer, die waren schon immer so.
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