die wahrheit: Auf alten Abwegen

Unterwegs auf einem der letzten Schmugglerpfade in den Allgäuer Alpen.

Schmuggelpfad-Kenner Michael Jakob mit den Resten eines weiß-blauen Schlagbaums. Bild: wittman

Blätter rascheln, ab und zu knackt ein Ast, und als wir oben den schmalen Pfad über dem Lech gehen, lösen sich einige Steine und poltern den Felsen hinunter zum Fluss. "Wenn wir jetzt Schmuggler wären, hätten uns die Zöllner unten im kleinen Zollhaus direkt am Felsen gehört." Michael Jakob aus dem Faulenbacher Tal bei Füssen weiß, wovon er spricht. Er saß mit ihm noch am Stammtisch - mit Hans Waibel, dem letzten "großen" Schmuggler aus Bad Faulenbach. Dabei ist er schon dreißig Jahre tot. Geschmuggelt wird nicht mehr. Sie sind Vergangenheit, die oft als kleine Volkshelden geschätzten Männer, die sich vor der gefährlichen Wanderung hinüber nach Österreich ihre Gesichter schwarz angemalt haben. "Daher kommt ja auch der Name 'Schwärzer Weg' ", erklärt der Stadtrat Jakob, der hin und wieder für Gäste in Füssen geführte Wanderungen leitet.

Lange gibt es diese Wanderungen noch nicht, und für die allermeisten Urlauber im Königswinkel, der Region um die weltberühmten Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein, ist das noch ein wahrer Geheimtipp. Es ist Spätherbst, die Blätter sind schon gefallen, es raschelt also auf dem Trampelpfad, der zunächst vom Faulenbacher Tal ein kurzes Stück steil bergan geht, dann kommen wir durch einen Hochwald. Michael Jakob bleibt stehen, zeigt hoch zu zwei Felsen und sagt, dazwischen seien die Schmuggler oft durchgekommen, gehörig beladen mit Tabakwaren, kleinen Parfumfläschchen, "Faszinettle", wie er den Krimskrams nennt, der nicht selten in den großen Rucksäcken der Schmuggler entdeckt wurde- dann, wenn eine Gruppe Zöllner mal wieder besonders auf der Hut war.

Der Waibel Hans ist nicht so erwischt worden, hat er erzählt, aber ab und zu ist er doch eingesperrt worden. Für vier Wochen. Doch wer nicht erwischt wurde, konnte ein gutes Geschäft im kleinen Grenzverkehr machen. Michael Jakob erinnert sich, wie der erfahrene Schmuggler ihm mal vorgerechnet hat, was er aus seinen 72 Reichsmark in einer Wochen machen konnte, die er als Pförtner in der Fabrik im Tal verdiente. "Da kam schon mal das Vierfache an Verdienst raus, meist haben die Hausierer schon gewartet, wenn er und seine Kollegen aus Tirol zurückgekommen sind." Virginia-Tabak und fertig gedrehte Virginias waren ein begehrtes Schmuggelgut. Meist haben die Hausierer die Zigarren gleich ins Unterland gebracht und an Pfarrersköchinnen verkauft. "Eine der vielen Anekdoten sagt, dass die Pfarrköchinnen die Schmuggelware kauften, damit nicht der Herr Pfarrer, der sie dann geraucht hat, beichten musste, sondern sie."

Heute wird nicht mehr geschmuggelt im vereinten Europa, zumindest sind keine Virginias, keine Rinder und Häute, keine "Faszinettle", auch kein Strohrum mehr unterwegs. Heute kann man den Schmugglerweg entlanggehen und den Blick zwischen den Bäumen hindurch auf den hier noch ungezähmten, grün-blauen Lech, auf die weiß-silbern glitzernden Stromschnellen genießen. Eine Stunde, vielleicht eineinviertel Stunden ist man vom Faulenbacher Tal aus unterwegs bis hinüber nach Vils.

Zurück kann man dann einen anderen Weg wählen - über den Sattel rüber zum Alatsee. "Aber da gibt es leider auch eine unrühmliche Geschichte zu erzählen", weiß Michael Jakob. "Dort drüben hat man in jüngerer Zeit immer wieder auch illegale Einwanderer eingeschleust, Menschenschmuggel war das. Und das hat mit Schmuggler-Romantik wahrlich nichts mehr zu tun." Polizei und Zoll hätten ihre Kontrollen verschärft, und so wurde dieses düstere Kapitel dann doch recht schnell wieder zugeschlagen, nicht zuletzt auch durch die Verlagerung der EU-Außengrenze nach dem Schengener Abkommen.

Zurück zum urigen Schmugglerpfad. Jakob zeigt die steile Felswand hinunter. "Da steht noch das alte Zollhaus, direkt an den Felsen gebaut. Ich weiß noch, wie mich vor gar nicht allzu langer Zeit ein Zöllner wieder zurückgeschickt hat, nur weil ich meinen Ausweis vergessen hatte. Ich wollte nur zu einem Gasthaus rüber nach Tirol, wo ich verabredet war." Doch dem wachsamen Auge des Zolls war nicht entgangen, dass der Mann aus Bad Faulenbach nicht den offiziellen Weg unten am Fluss entlang gewählt hatte, sondern den einschlägig bekannten "Schwärzer Weg".

Als wir hinuntersteigen zu dem Grenzhäuschen, entdeckt Michael Jakob im Gebüsch entlang dem immer schmäler werdenden Schmugglerpfad noch die Reste eines weiß-blauen Schlagbaumes. Stolz hält er das Relikt aus Zeiten einer streng kontrollierten Grenze hoch. Ein wenig später, unten am Lände-Weg, steht am alten Grenzhäuschen ein gar nicht so altes Schild mit der Aufschrift "Landesgrenze". Eine Frau aus Sachsen und ihr Begleiter aus Berlin lassen sich von uns nicht kontrollieren, schmunzelnd schütteln sie den Kopf, und er sagt: "Die Zeiten sind vorbei!"

Vorbei ist auch die Zeit der Schmuggler, und doch ist er irgendwie allgegenwärtig, dieser Kick, den es beim "Einkaufen" in Österreich gab, "wenn man schon ab und zu für den Rückmarsch den schweren Weg gewählt hat, den man nicht immer geht."

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