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die wahrheitTolle Seelenmüllbeutel

Gewinn, Gewinn, Gewinn: Tipps für den optimalen Briefkastenfirmenauftritt.

Gewinnspielzielgruppe Rentner: Wer Alte behumsen will, muss ihre geheimen Wünsche genau kennen. Bild: ap

"Sie haben gewonnen! 10.000 Euro!" oder "Eine Reise in die Türkei!" oder "Eine Rheumadecke aus Katzenfell!" Wie geflunkert auch immer - mit solcherlei Gewinnbenachrichtigungen kann man die Alten von heute kaum noch hinterm Ofen hervorlocken. Denn sie haben schon alles, nur keine Aufmerksamkeit.

Das haben viele Briefkastenfirmen noch nicht verstanden. Immer mehr gehen pleite, melden Insolvenz an. Das muss nicht sein! Wer heute auf dem hart umkämpften Oma-und-Opa-Bescheißer-Markt Erfolg haben will, muss umdenken, sein Angebot an reale Sehnsüchte anpassen. Wie? Durch Empathie. Also, liebe Briefkastenfirmen, von BellaVita bis Glücksbringer GmbH, hier ein lebensnotwendiger Tipp für den optimalen Briefkastenfirmenauftritt: Nicht mehr nur Nippes oder Schnickschnack schenken, sondern Gehör.

Zum Beispiel so: "Herzlichen Glückwunsch! Sie haben bei unserem Gewinnspiel erfolgreich teilgenommen und einen tollen Preis gewonnen: einen Enkel! Und dabei gibt es keinen Haken!" Da gerät die nüchternste Omi aus dem Reihenhäuschen. Das Muster eines Schecks gleich beifügen. Und selbstverständlich etwas Schlichtes und Ergreifendes vom zukünftigen Enkelkind: "Was Selbstgebasteltes! Wahlweise ein Krakelbild oder ein Fimo-Figürchen, unverkennbar mit Ihrer Visage", um bei den Nachbarn zu punkten.

Weitere Lockvögelchen: "Ganz Deutschland hat mitgemacht, aber Sie haben gewonnen! Ein offenes Ohr. Eine Bezugsperson. Ein Gegenüber sowie zusätzlich 100.000 tröstende Wörter - jetzt stimmt auch Ihr Gefühlshaushalt wieder!"

Besonders gut kommt auch eine plötzlich auftauchende Halbschwester oder Halbfreundin, nicht ohne den Zusatz: "aufgestöbert an der Türkischen Riviera. Sie können den Gewinn nur persönlich abholen (Zuzahlung Flug 1.999 Euro)." Und für diejenigen, die eher langfristig träumen: "Nicht wegwerfen! Als Teilnehmer unserer exklusiven Auslosung am heutigen Tage haben Sie einen tollen Preis gewonnen: 100 Pappkameraden bei Ihrer Beerdigung!"

Ruhig klotzen, groß auffahren: "Nein, das gibt es doch gar nicht! Sie haben gewonnen!!! Ein erfülltes Leben sowie Seelenfrieden plus 99 Glücksmomente! Und um Ihnen eine besondere Freude zu bereiten, erhalten Sie zusätzlich kostenlos 99 Freudentränen in einer Glaspipette, mundgeblasen."

Auch verheißungsvoll: "Kein Scherz!!! Sie haben bei unserem Gewinnspiel erfolgreich teilgenommen und einen tollen Preis gewonnen: Ihre ganz persönliche 8-tägige Erinnerungsreise ins Sudetenland im Wert von 996 Euro." Weitere Köder: "Eine Autobiographie" oder "ein Band mit Aphorismen unter Ihrem eigenen Namen" oder "77 druckreife Anekdoten, individuell für Sie angepasst".

Das A und O ist der richtige Ton, sprich der wunde Punkt. Der kann auch mangelndes Sozialprestige sein: Verjubeln Sie Ehrenvorsitze in Vereinen oder Attrappen für die Ahnengalerie mit tollen Distinktionsmerkmalen: Puderperücke, Monokel ... Und für die, die gern was zum Hinstellen und Herzeigen haben: "Kein Schmerz!!! Sie haben gewonnen: 1 Selbsttötungsautomat, preußischblau oder zitronengelb", ein Designerstück der Briefkastenpartei "Heimat Hamburg", handsigniert von Roger Kusch.

Was nach der Gewinnbenachrichtigung kommt, bleibt selbstverständlich beim Alten. Warum aufgeben, was sich bewährt hat? Die 0900-Nummern, die Busfahrten in die Pampa, die Verkaufsveranstaltungen, die Aufschwatzsuada. Enttäuschungen, geballte Fäuste und Tränen bleiben dabei nicht aus. Freuen sich dutzende Rentnerinnen aus demselben Dorf über eine Gewinnbenachrichtigung, merken sie erst im Bus, dass allen die gleichen Anekdoten versprochen wurden. "Die kann ich mir jetzt an den Hut stecken", brummt Inge T. Oder erfahren erst im Gasthof hunderte Kilometer entfernt, dass sie nur die "Nominierung" gewonnen haben. Der versprochene Enkel steckt lediglich in der Tombola. "Und dann wars auch nur ein albanischer", sagt Hauptgewinnerin Gerda F. und zieht einen Flunsch.

Auch das offene Ohr versperrt noch ein Vorhängeschloss; den Schlüssel gibts für 999.90 Euro dazu. Und vom erfüllten Leben - weit und breit keine Spur. "Überall habe ich nachgeschaut, unter den Bussitzen, hinter den Gardinen, unter den Tischdecken, ohne Erfolg", sagt Walter D. enttäuscht. Tränen tropfen auf seinen Musterscheck.

Am Ende, nach einer langen Verkaufsveranstaltung, werden die Alten wieder per Bus nach Hause gekarrt. Eingelullt, verwirrt, um tausende Euros leichter, aber schwer bepackt. Unterm Arm: Aphorismen gegen Elektrosmog, Ehrenvorsitze aus Katzenfell, Fimo-Figürchen mit Doktortitel, eine Rolle Seelenmüllbeutel, 50 Stück, ein Kummerkästchen aus Rosenholz et cetera pp.

ELLA CARINA WERNER

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