die wahrheit: Was hinten rauskommt
Zähneklappern bei Hundehaltern: Die Einführung der Berliner Umweltzone steht bevor.
Berlin hat ein braunes Image. Fünfhunderttausend Hunde leben hier und verkoten die Stadt. Das muss aufhören, fand der Senat und beschloss eine großangekündigte neue Umwelt-, sprich: Kot-Zonen-Regelung, die am 1. Januar in Kraft tritt. Damit man nicht mehr so oft reintritt. Je nach Masse-Ausstoß bekommen die Köter unterschiedliche Plaketten, und ihre Halter werden kräftig zur Kasse gebeten. Wo die schmuddeligen Vierbeiner bislang ungehindert flanieren und ihre berüchtigten Tretminen absetzen durften, kann das inskünftig ihre Halter teuer zu stehen kommen - wenn die Vierbeiner nicht die entsprechenden Plaketten haben: Grün ist die preisgünstigste, gelb die mittlere. Die braune Plakette aber wird richtig teuer.
Das heißt konkret? "Drei- bis fünfhundert Euro im Jahr, je nach Gewichtsklasse", sagt Hans-Dieter Hierher vom HÜV, dem neugeschaffenen Hunde-Überwachungs-Verein, der in 24 Prüfstellen seit mehreren Wochen die künftig zu zahlenden Gebühren festsetzt. "Entscheidend ist nun mal, was hinten rauskommt!" Hierher lacht. Er weiß, wovon er spricht, denn er hat Jahrzehnte in einem Minen-Räumboot der Berliner Stadtreinigung BSR verbracht. "So hießen bei uns die kleinen Kabinenroller mit den Scheiße-Saugern. Ich kann Ihnen sagen, das ist der Hauptposten bei den Kosten gewesen. Die verklebten Saugrohre zu reinigen." Hierher lacht.
Nichts zu lachen haben die Braunen, im Jargon der HÜV-Leute auch Brownies genannt. "Wir bekommen laufend die Rückmeldungen von den Tierheimen. Es wird überall ausgesetzt wie blöd. Aber wir bemühen uns, die Quälerei über einen Datenabgleich mit den Finanzämtern einzudämmen. Wer zurzeit einen Brownie bei der Steuer als entlaufen abmeldet, muss mit zusätzlichen Gebühren rechnen, denn der Grund ist ja offensichtlich. Der wurde abplakettiert - aus Plakettengründen einfach abgeschafft."
Wir befragen die Halterin von "Krissie", die gekommen ist, ihren Liebling abzuholen, eine grau-weiß-schwarze Promenadenmischung. Drei Tage lang war der Rüde in der K-Prüfung, dem ausschlaggebenden Test, in dem die Höhe des künftig zu entrichtenden Umwelt-Zolls bestimmt wird. "Ich hoffe, er kriegt Grün!", sagt die Hundebesitzerin voller Hoffnung. Die kleine korpulente Frau hat sich in den letzten drei Tagen nur von Kartoffelchips und Salat ernährt. "Ich bin mit den Nerven völlig runter", gesteht sie und steckt sich nach einer Viertelstunde Wartezeit schon die dritte Zigarette an.
Die Geräuschkulisse im Prüfzentrum Müllerstraße lässt sich am ehesten als eine Mischung aus Hundesalon, Waschanlage und Abflughalle beschreiben. Links kommen die Neuzugänge kläffend und ihre Halter zähneklappernd rein, rechts werden die kläffenden Geprüften wieder in Empfang genommen. Jubel, wenns ein Grüner ist, Aufatmen bei Gelb, Heulen oder Grabesstille angesichts eines Brownies. "Hier spielen sich täglich herzzerreißende Szenen ab", weiß Hierher zu berichten. Krissies Herrin schnieft los. Ihr Nervenkostüm ist nicht das beste.
Die meisten trifft es hart. Ganz egal wie das Ergebnis ausfällt: Schon die Prüfung ist teuer. Wenns dann schiefgeht, stehen viele vor dem Abgrund. Wir folgen Hans-Dieter Hierher in die abgetrennten Prüfräume. Hier sieht es aus wie in einer Tierklinik. Die Hunde werden gewogen. Auch anderes wird gewogen, wir ahnen, was es ist. Es riecht streng. Mitarbeiter mit Holzspateln sitzen an kleinen Prüfständen. Tragen Ergebnisse in Formulare ein. Hierher schaut nach dem Rechten, macht hier und da Stichproben.
"Der Test ist einfach. Wir füttern vom zweiten Tag an. Einfaches Kraftfutter. Wird über die Prüfgebühr finanziert. Viele Hunde kommen ausgehungert her, weil die Halter denken, wir würden einfach gleich loslegen. Aber erst am dritten Tag wird gemessen. Was hinten rauskommt. Quantität und Qualität. Konsistenz, Geruch und Farbe", erläutert Hierher und nimmt kein Blatt vor den Mund: "Je ekliger die Scheiße ist, desto eher tendiert die ganze Angelegenheit zu Braun. Ein bisschen Subjektivität ist dabei, aber im großen Ganzen geht es gerecht zu. Keiner wird übervorteilt. Wir haben inzwischen eine relativ gesicherte Erhebung. Da kann niemand sagen, es sei alles an den zottigen Haaren herbeigezogen. Wir hätten übrigens nie gedacht, dass es so viel ist. Also die Gesamtmasse sozusagen, alle Tretminen hochgerechnet, in Kilo, auf ein Jahr." Er pfeift durch die Zähne. "Nur die Mikro-Hunde liegen naturgemäß gut im Rennen. Bei den Dackeln und den Kälbern sieht es dagegen ziemlich scheiße aus."
Krissie kommt laut bellend herangesprungen. Eine Mitarbeiterin von Hierher hat ihm gerade mit der Prüfzange eine farbige Plakette ins Ohr geklemmt. Die Besitzerin wird aschfahl - Krissie ist ein Brownie. "Jetzt ist alles aus! Du kleiner Scheißer", sagt sie, was gar nicht liebevoll klingt, und kämpft mit den Tränen. Hierher lächelt wehmütig. "Armer Hund!", sagt er leise und prognostiziert: "So wie die sich verhält, wird sie nicht bezahlen. Sie wird auch nicht wegziehen. Sie wird ihn aussetzen."
Der Hund ist froh, wieder draußen zu sein, und zerrt an der Leine. Ob sie bezahlen wird, fragen wir Krissies Herrin. "Mal sehen", druckst sie herum. Murmelt was von "wohl weggeben müssen". Sie scheint die Freude an ihrem Liebling ganz verloren zu haben. Krissie hat noch nicht gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Die braune Plakette steht ihm irgendwie ganz gut, finden wir.
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