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die wahrheitDie Schönheit der Schweinchen

Warum gibt es in Kalendern mit Meerschweinchenbildern immer mindestens ein hässliches Foto der kleinen Nager?

Mit dem Jahreswechsel habe ich erneut und wider besseres Wissen einen Meerschweinchenkalender in mein Arbeitszimmer gehängt. Warum ich einen Meerschweinchenkalender besitze, wird nicht Gegenstand dieser Zeilen sein, wohl aber der Grund, weshalb eines der Meerschweinchenmotive zwei Monate vorhalten muss. Wie schon im vorigen Jahr zeigt eine Fotografie - es handelt sich um das August-Model - ein so hässliches Tier, dass sein Anblick nicht zu ertragen ist.

Von der Ausnahme abgesehen, präsentiert mein Meerschweinchenkalender keine weitere ästhetische Entgleisung, ganz im Gegenteil: Elf von zwölf Aufnahmen zeigen possierliche, wohlgenährte und zu manchem Spaß aufgelegte Nagetiere. Das August-Meerschweinchen hingegen - ich kann selbst jetzt, zum Zweck der Recherche, nur kurz hinsehen - wirkt stark verfilzt, es hat Hängeohren und einen verschlagenen, gewaltbereiten Blick. Ein solches Bild gehört nicht in einen Kalender.

Ich erinnere mich, als Kind ähnliche Enttäuschungen erlebt zu haben, wenn ich Tierpostkarten im Fünferpack erwarb. Auch hier fand sich in der eingeschweißten Packung grundsätzlich, aber niemals zuoberst, mindestens ein besonders abstoßendes Bild. Zwischen entzückenden Küken und hübschen Kaninchen versteckten sich blöde hechelnde Pudel oder Perserkatzen mit verkniffenem Gesichtsausdruck. Diese Postkarten waren wertlos; Man hätte sie nicht einmal einer entfernten Großtante schicken können, ohne sich schämen zu müssen. Ich lernte damals, was man unter einer Mogelpackung versteht. Und ich glaubte, die Postkartenhersteller brächten diese missglückten Fotos unters Volk, weil sie ihnen zuvor aufgezwungen worden waren.

Einige Jahrzehnte später reicht diese Erklärung selbstverständlich nicht mehr. Außerdem, das ergeben Nachforschungen im einschlägigen Milieu, ist der Zustand unverändert: Jeder Tierkalender, selbst der des Tierschutzvereins, birgt eine ungeahnte Zumutung - ein Redakteur dieser Zeitung empörte sich etwa über "verlotterte Rotkehlchen". Warum ist das so? Man sollte doch meinen, dass in den Verlagen fähige Bildredakteure arbeiten, die zum Beispiel aus einer geschätzten Flut von 100.000 Pinguinbildern zwölf ansprechende zutage fördern. Dem ist aber nicht so, denn es gibt auch höchst unattraktive Pinguine, und einer von ihnen wird garantiert im Kalender ausgestellt. Was also ist da los? Gibt es Fotografen, die sich auf hässliche Tiere spezialisiert haben? Arbeiten sie mit irren Wissenschaftlern zusammen, die Staubsaugerbeutelfüllungen mit Meerschweinchen kreuzen?

Das kann ja wohl nicht wahr sein, und so kommt im Moment nur eine Erklärung in Frage, die mir vor kurzem ein Buchhändler lieferte: Kalender enthielten grundsätzlich ein schwaches Motiv, um die anderen aufzuwerten, so der Fachmann. Das aber ist eine Beleidigung des Betrachters. In den Verlagen scheint man zu glauben, unsereins benötige ein abschreckendes Beispiel, um den Rest einer Bildersammlung würdigen zu können. Im Namen aller Kalenderbesitzer versichere ich aber, dass dies nicht der Fall ist. Genauso wenig kämen schließlich Musikliebhaber auf die Idee, eine Konzertaufnahme zu goutieren, weil auf der CD auch Blockflötenübungen von Siebenjährigen zu hören sind. Nein, wir wissen vom "höchsten Endzweck und Mittelpunkt der Kunst", und beides ist, nach Johann Joachim Winckelmann, nun einmal: "die Schönheit". Genauer und weiter in den Worten von Winckelmann gesagt: "Die Schönheit ist eins von den großen Geheimnissen der Natur, deren Wirkung wir sehen und alle empfinden."

Ich verlange daher Rücksicht auf unser aller Empfindungen - und Kalender, die die Schönheit der Meerschweinchen an allen zwölf Monaten des Jahres zur Geltung bringt.

PS: "In der Nacht von Donnerstag auf Freitag", meldete die Nachrichtenagentur AFP vergangene Woche, wurden zwei Meerschweinchen in einer Lübecker Babyklappe "anonym abgelegt". Dass bislang keine Fotos von den Tieren veröffentlicht wurden, macht misstrauisch. "Meerschweinchen auf Wärmebettchen 2009" kommt mir jedenfalls als Kalenderbild nicht ins Haus.

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