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die wahrheitMein erster Liechtensteiner

Ich stieg in die gediegene Limousine ein, die auf dem Randstreifen bei Dreilinden anhielt, um mich nach Westdeutschland mitzunehmen.

Ich stieg in die gediegene Limousine ein, die auf dem Randstreifen bei Dreilinden anhielt, um mich nach Westdeutschland mitzunehmen. Der Fahrer war so jung wie ich, aber trug diese Patrick-Duffy-Frisur. Ein kraftvoll gelockter, dunkler Haarhelm umrahmte sein adrettes Gesicht, mit dem er jeden Bobby-Ewing-Ähnlichkeitswettbewerb gewinnen würde. Ein "Dallas"-Fan wie meine Mutter hätte ihn jedenfalls sofort eingetauscht gegen mich und meine Mäusehaare. Und dann war er auch noch BWL-Student. Die ganze Fahrt hindurch mäkelte der angehende Wirtschaftsexperte an den mickrigen Werbebannern der Volkseigenen Betriebe herum, die an den Brücken über der Transitstrecke hingen. "Was ein trostloses Marketing. Rauchende Schornsteine als Logo. Diese DDR ist völlig kaputt", jammerte er. Und ich dachte: Was ein armes Schwein.

Was hatte er bloß immer mit dieser DDR? Ich war gestern Nacht im "CdC" gewesen, im "Cri du Chat". Ein total angesagter Laden, in dem ich mich mit meiner Freundin traf. Sie sah verdammt gut aus und sang in dieser neuen Band mit dem coolen Sciencefiction-Namen "1. Futurologischer Congress". Stanislaw Lem. Eine großartige Anspielung. Die Futurologen waren schon zweimal im Fernsehen aufgetreten, das eine Mal live und das andere Mal mit einem Video. Ein eigenes Video! "Schützt die Verliebten" hieß der Titel. Und ich hatte die geniale Idee gehabt, oben in der Ecke klein den Namen der Band abgekürzt einzublenden: "1. FC". Eine Einblendung! Oben in einem Video! Das hatte es noch nie gegeben! "Das ist Underground, Avantgarde", schwärmte ich. Und der Fahrer dachte: Was ein armes Schwein.

Um mich herunter-, eher aber um sich selbst wieder ins Spiel zu bringen, fragte Bobby Ewing mich plötzlich, ob ich bei der Bundeswehr gewesen war. Wenn ich auf eins allergisch reagierte, dann auf das B-Wort. Ich gehörte einer seinerzeit noch nicht ausgestorbenen Gattung an: Ich war Bundeswehr-Flüchtling. Gleich nach meinem schriftlichen Abitur war ich nach West-Berlin geflüchtet, zur mündlichen Prüfung trampte ich heimlich zurück in meinen Heimatort. Vor meinem Elternhaus trieben sich zeitweise Feldjäger herum. Da ich gemustert worden war, galt ich als Deserteur und durfte mich nicht erwischen lassen.

"Ich bin Liechtensteiner", sagte der Fahrer mit gespitzten Lippen und wollte mir damit seine privilegierte Stellung deutlich machen, nicht in einer Armee wie der Bundeswehr dienen zu müssen. Die Worte "Bundeswehr" und "Liechtensteiner" aber hatten offenbar meinem Gehirn so zugesetzt, dass es kurzzeitig aussetzte, denn ich antwortete ihm: "Das machen jetzt viele." Vermutlich schwirrten mir die "Malteser" durch den Kopf. Beim Malteser Hilfswerk konnte man sich für zehn Jahre verpflichten, um nicht zum Bund gehen zu müssen. Von den Maltesern jedoch ging es in meinem Hirn pfeilgerade zu dem Schnaps Malteserkreuz und von dort direkt weiter zu den Blaukreuzlern, die Antialkoholiker sind, so dass ich noch einmal nachlegte mit der nächsten kruden Bemerkung: "Liechtensteiner? Dann trinkst du ja auch keinen Alkohol." Was ein armes Schwein, dachte ich. Was ein armes Schwein, dachte er.

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