die wahrheit: War Christus Möbelhändler?
Alles, was schiefgehen kann, geht auch schief. Das erfuhr kürzlich die Bundeskanzlerin Angela Merkel...
Alles, was schiefgehen kann, geht auch schief. Das erfuhr kürzlich die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bei der Eröffnung eines norwegischen Opernhauses erschien sie in einem Kleid mit tief ausgeschnittenem "décolleté" und wollte dem Publikum zeigen, was sie draufhat im Wagner-Weiber-Fach. Das ging daneben, denn beim Singen oder Zeigen von Haut herrschen andere Maßstäbe und Bräuche als in der Politik. Im Feuilleton geht es nicht ums Vorführen von Stimme oder Haut, sondern ums Klappern mit Bildung, das heißt Plappern mit fach- und fremdsprachlichen Anleihen.
Was die fachsprachlichen Anleihen betrifft, braucht man dem, was Alan Sokal und Jean Bricmont zum Missbrauch von Wissenschaft durch die Schnelldenkerei à la mode dargelegt haben, nichts hinzufügen. Es handelt sich nur um "eleganten Unsinn", wenn sich etwa der Sozialpsychologe Harald Welzer der Klimaforschung oder der Literaturwissenschaftler Frank Schirrmacher der Demografie bemächtigen.
Mit den fremdsprachlichen Anleihen ist es komplizierter, denn schon mit dem Wort "décolleté" ist man selbst schon mitten drin - beim Klappern. Der alte Duden verdeutschte das französische Wort noch mit "Dekolleté". Der neue möchte dagegen "Dekolletee" durchsetzen und handelt sich die Frage ein, warum er von den vier e in dem Wort das zweite nicht tilgt, aber dafür das dritte verdoppelt? Warum nicht gleich "De-Kohl-Tee, da wüssten auch Kinder, in etwa, worum es geht?
Das hochstapelnde Klappern mit Bildung liegt voll im Trend in der Bildungs- vulgo: Pisagesellschaft: "Der umfangreiche Korpus wird jetzt kritisch ediert." Der Korpus ist die Christusfigur am Kreuz, ein massiver Teil von Holzmöbeln und im Alemannischen ein Ladentisch. Es dürfte eher schwierig sein, derlei Sperriges kritisch zu edieren. Der Feuilletonist meinte nicht ein Möbel, sondern einen Stapel von Manuskripten und gedruckten Texten, was man bildungssprachlich "das Korpus" nennt, weil das lateinische Wort dahinter ein Neutrum ist. Und dann gibt es auch noch "die Korpus" - ein Schriftgrad von zehn Punkt.
Frankophile Weltläufigkeit signalisierte ein anderer Schreiber und vergriff sich grobianisch an der "quantité négleable", die in richtigem Französisch "quantité négligeable" heißt - mit i und g wie Negligé.
Eines der letzten universell gebildeten Genies war der Physiker, Mathematiker, Astronom, Philosoph, Aphoristiker und gnadenlose Spötter Christoph Georg Lichtenberg (1742-1799). Der erfand ein Wort, das alle Schreibenden bis ans Ende ihrer Tage beherzigen sollten, bevor sie sich mit fach- oder fremdsprachlichem Modeschmuck herausputzen und damit nur zeigen, woran sie leiden: an tödlicher Ultracrepidemie.
Der schlaue Lichtenberg leitete das Wortungetüm aus einem lateinischen Satz ab, der lautet: "ne sutor supra crepidam". Der Satz meint: "Was über das Schuhwerk hinausgeht, soll der Schuster nicht beurteilen." Das Wort "Ultracrepidamie" macht mehr her als das brave Sprichwort, "Schuster bleib bei deinen Leisten", und es ist sicher vor der Übernahme in den Klapper-Slang, der den Körper Christi mit einem Möbel verwechselt.
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