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die wahrheitIm Suppenrausch der Tiefe

Auf einer Bohrplattform im Golf von Mexiko. Die Wahrheit-Rohstoff-Reportage.

Im Golf von Mexiko liegt die Plattform "Souper IV", die die Menschheit mit flüssiger Nahrung versorgt. Bild: ap

Das Tschok-tschok-tschok der gewaltigen Rotorblätter wird immer schneller. Schwerfällig wie ein urtümlicher Flugsaurier schraubt sich der riesige Helikopter in die Luft. Windböen zerren an dem Fluggerät, doch Sean Logan, der erfahrene Pilot, schmunzelt nur über das kreidebleiche Gesicht des Reporters. Weit unten schwappt die braun-brackige Brühe des Mississippi träge in der Mittagsglut. Nach wenigen Minuten verschwindet die Küste im Dunst. Das Farbe des Wassers geht in das Türkis des Golfs von Mexiko über - schon taucht am Horizont die gigantische Stahlkonstruktion einer Bohrinsel auf. "Souper IV" schwimmt auf ihren vier Säulen wie ein Fettauge im Meer. Stahlseile, dick wie Kälberstricke, halten das künstliche Eiland am Meeresboden fest. Mehr als 50.000 Tonnen wiegt der Koloss, der vom Grund bis zur Spitze 1.600 Meter misst.

Die Plattform, weltweit eine der größten ihrer Art, ist ein Symbol für die Zukunft der globalen Ernährung. Seit stetig steigende Preise die Nahrungsmittelkrise verschärfen, lohnt sich die aufwendige Suche nach den tief in der Erdkruste lagernden Ursuppenvorkommen. Unternehmen wie Campbell, Maggi oder Knorr bohren immer tiefer nach dem flüssigen Gold, das die Mägen der Menschheit füllen soll. "Souper IV" arbeitet auf Hochtouren - mehr als tausend Meter unter der Meeresoberfläche hat ein neuer Suppenrausch begonnen.

Captain Logan setzt zur Landung an. Vorsichtig wie einen zu vollen Suppenteller manövriert er den Hubschrauber zentimetergenau auf den Landeplatz hoch über dem Meer. Tief unten sind die meterhohen Wellen zu erkennen. Kaum ausgestiegen, umfängt einen der ohrenbetäubende Lärm der Pumpstationen und Bohranlagen.

Windstärke neun - das Bohrmonster im Golf von Mexiko zittert wie ein wilder Stier unter dem Ansturm der sturmgepeitschten Wogen. Erste Anzeichen der Hurrikan-Saison. Das Ungetüm brüllt und stampft in seinen stählernen Eingeweiden. Hier ist die Welt der harten Suppen-Männer. Muskelbepackte Kerle, die mit ihren schwieligen Händen schwere Bohrgestänge stemmen und auch in schwindelerregender Höhe nur an das eine denken: Suppe. Peter Toyle, der technische Leiter von "Souper IV", arbeitet seit 23 Jahren in der Suppenindustrie. Er hat angefangen als Arbeiter, hat Bohrmeißel gesäubert, Pipelines verlegt und Farbe von rostigen Schöpfkellen geklopft. "Ich wollte schon als kleiner Junge in die Suppenindustrie. Auch mein Vater war in der Branche", erzählt der 43-Jährige.

Jetzt sitzt er hinter einem grauen Schreibtisch in einem fensterlosen Raum im Wohn- und Bürotrakt der Bohrinsel und löffelt genüsslich einen Teller Nudelsuppe. Auf einem Monitor kann Toyle alle sechs Decks der Plattform einsehen - von den dröhnenden Separationsanlagen, in denen die Ursuppe von Algenrückständen getrennt wird, bis zur Versuchsküche, in der Frauen in riesigen Kochtöpfen rühren. Prüfend blickt Toyle in ein Gefäß, in dem eine bräunliche Pampe schwappt. Ihr entströmt ein stechender Geruch. Es ist eine Suppenprobe aus einer Tiefe von mehreren tausend Metern. "Das ist Topqualität", sagt der Fachmann.

"Souper IV" fördert jeden Tag bis zu 150.000 Barrel Ursuppe, die in einem ausgeklügelten Verfahren zum Rohstoff der Suppenindustrie aufbereitet wird. Etwa 150 Menschen arbeiten auf der Plattform in einem 14-tägigen Schichtbetrieb. Danach gibt es jeweils zwei Wochen frei.

Campbell ist einer der wichtigsten Arbeitgeber im amerikanischen Süden. Der hohe Nahrungsmittelpreis ist für "Souper IV" ein Segen. "Klar, für uns sichert der Suppenboom Arbeitsplätze", sagt der Plattform-Chef. "Pumpen, was das Zeug hält", lautet deshalb seine Devise.

Dabei sah es Ende der Neunzigerjahre, als auf "Souper IV" die Produktion begann, nicht gerade rosig aus. Der Suppenpreis lag damals gerade bei knapp 15 Dollar je Barrel. Die Zweifel waren groß, ob sich die Investitionen in die teuren Förderanlagen jemals rentieren würden. Doch jetzt hat sich das Blatt gewendet. Jeder Teller Suppe, den "Souper IV" an die Oberfläche pumpt, ist dank der Suppenhausse doppelt so teuer wie im vergangenen Jahr. Und das heizt den Suppenboom im Golf von Mexiko weiter an.

Die halbmondförmige Küste zwischen den US-Bundesstaaten Texas, Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida ist der soup-belt, die Hauptschlagader der amerikanischen Suppenversorgung. "Wir können heute Ursuppenlager anzapfen, die vor wenigen Jahren nicht in den kühnsten Träumen der Ingenieure vorkamen", sagt Campbell-Produktionsmanager Clark Dale. Anfangs waren es 500 Meter, dann 1.000 Meter, und heute lassen sich schon Wassertiefen von 2.600 Meter überbrücken, erläutert der Experte. Der bedächtige Spezialist hält nicht viel von den Untergangsszenarien, die drohende Hungerkatastrophen verkünden. Für ihn ist die Zukunft klar wie Kloßbrühe. "Alle Prognosen, die von dramatisch schwindenden Reserven sprechen, lagen falsch. Die Wahrheit ist: Wir entdecken laufend neue Suppenfelder."

Lächelnd setzt er sich an den Kantinentisch und schöpft sich mit einer großen Kelle eine ordentliche Portion aus der riesigen Suppenschüssel, aus der sich alle Männer bedienen. Dann lässt er sich das Tagesgericht schmecken: doppelte Kraftbrühe mit Wurst.

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