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die wahrheitGegen das Gegurke

Ein Besuch bei den konsequenten Kritikern der Organisation "Kunstfehler".

Rainer Müller macht mir die schwere, mit geschmacklosen Intarsienarbeiten verzierte Eichentür auf, die so gar nicht zu diesem umgebauten WK-II-Bunker passen will. Und auch dessen fliederfarbenen Anstrich würde man wohl unter Diplomatengattinnen als etwas gewöhnungsbedürftig bezeichnen. Herr Müller - "Ach, nennen Sie mich einfach Rage, so schimpfen mich alle hier!" -, "Rage" also nennt das Gebäude schlicht "ein gottverdammtes Verbrechen gegen die Menschenwürde, wenn Sie so wollen". Er reckt das Kinn, zieht wie ein Pistolero und zeigt diesem Lila-Trumm schwungvoll die Stinkefinger seiner beiden Hände. "Der Architekt, der die Restaurierung zum Milka-Building, so nennen wie intern unser Hauptquartier" - und ich lächle wie gewünscht, was er mit zufriedenem Kopfnicken zur Kenntnis nimmt -, "der also diesen Umbau hier verbrochen hat, war unser erster … sagen wir mal … Delinquent. Und glauben Sie mir, der sieht sich jetzt vor …" Seine stahlblauen Augen taxieren mich kritisch. "Ach, übrigens, Sie werden am Apparat verlangt!" - "Wie bitte?", frage ich konsterniert, und sein Kopf schießt vor, als wollte er nach mir schnappen. "Mal wieder rasieren!"

Rainer Müller alias "Rage" ist der geschäftsführende Leiter der Gesellschaft "Kunstfehler e. V." und in Personalunion Exekutivdirektor der Sektion "Populäre Musik, Literatur und Haushaltswaren". In "Malen, Zeichnen, Makramee" hätte man ihn auch einsetzen können, verkündet er stolz, damals, als er angefangen habe, sich bei "Kunstfehler" zu engagieren, und er sei da auch immer wieder helfend eingesprungen. "Ich war voller Ideale und hatte diesen universalistischen Ansatz." Aber irgendwann habe man sich einfach spezialisieren müssen. "Es ist längst nicht mehr so übersichtlich wie früher, die Fehler werden immer mehr."

Ich frage ihn nach den Zielen, nach der Philosophie der Gesellschaft. Er kontrolliert den Sitz seiner Krawatte, rückt die goldenen Manschettenknöpfe in die korrekte Position und erzählt dann mit abgewogenen, wohlgesetzten Worten, denen man anhört, dass er sie nicht zum ersten Mal benutzt. "Wir haben uns irgendwann gefragt, warum zieht das alles eigentlich keine Konsequenzen nach sich? Den Kurpfuscher kann man vor den Kadi zerren, wenn er Mist gebaut, also statt den Blinddarm die Galle entfernt hat. Da muss der selber bluten und richtig ablatzen. Außerdem ist sein Ruf dahin. Aber was ist denn mit den echten Kunstfehlern? Wenn Grass mal wieder bei einem seiner Gedichte das Metrum vergurkt oder, um mal in derselben Preisklasse zu bleiben, Klaus Meine in dieser Phantasie-Sprache singt, die er für Englisch hält und die es nur in Hannover gibt? Werden die irgendwie sanktioniert? Na also. Klopft einer Bob Dylan auf die Finger, wenn er mal wieder Solo spielt? Hat einer Metallica angezählt für den beschissenen Snare-Sound auf dem letzten Album? I wo, die ernten vielleicht mal ein bisschen Spott, bekommen einen Verriss, aber die haben doch nichts zu befürchten", seine rechte Faust klatscht laut und schnell in die geöffnete Linke, "und das wollen wir ändern."

Müller/Rage hat vollkommen Recht, sein Ansinnen ist mir sofort sympathisch. "Ihre Intention in allen Ehren, aber wie soll das konkret geschehen?" Er bekommt Farbe und saugt geräuschvoll Luft ein, offensichtlich hält er nur mühsam seine Wut unter Kontrolle. Jetzt weiß ich auch, wie er zu seinem ausgefallenen Spitznamen gekommen ist. "Diese Stümper müssen einfach merken, dass sie wirklich etwas zu verlieren haben", zischt er, "comprende?! Die müssen wissen, da ist jemand, der solche Schlamperei nicht duldet - und sie, wenn es sein muss, auch ihrem Vergehen gemäß … tja, ein unschönes Wort … abstraft."

"Das leuchtet ein", bestätige ich, will dann aber auch wissen, an welche Strafe er gedacht habe. "Nun, Gewalt ist vielleicht keine Lösung, aber …", er zeigt angewidert auf den rosa-violetten Putz ihres Vereinsbunkers, "es ist nicht immer leicht." Er macht ein enttäuschtes Gesicht. "An die großen Fische kommen wir noch nicht so richtig heran, die haben ja ihre Security, das sind ja meistens solche Schränke", sagt er beeindruckt. "Wir leisten dann postalisch Überzeugungsarbeit. Und manchmal legen wir den Briefen auch schon mal etwas bei, das ihnen ihr Umdenken erleichtern soll."

"Geld", nicke ich. "Ein abgeschnittenes Ohr", sagt er. Ich klopfe ihm anerkennend auf die Schulter. "Natürlich nur Attrappe", feixt er. Wir halten uns aneinander fest, sonst würden wir vor Lachen in die Knie gehen.

Ich bekunde schließlich mein Erstaunen darüber, erst kürzlich von dieser segensreichen Einrichtung gehört zu haben. Das sei vor allem den immer noch schwelenden internen Streitigkeiten geschuldet, gibt Müller/Rage kopfschüttelnd zu. "Die alten Herren wollen einen Geheimbund alter Schule, aber uns Jüngeren erscheint das nicht mehr zeitgemäß, wir plädieren für aggressive PR mit Drückerkolonnen, TV-Spots, Promi-Endorsement und allem Pipapo." Zum Abschluss meines Besuches bitte ich noch um ein Beitrittsformular, aber er schüttelt den Kopf. Und mit einem Augenzwinkern zum Abschied sagt er: "Rufen Sie nicht uns an, wir rufen Sie an!" FRANK SCHÄFER

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