die wahrheit: Die alten Bilder in der Dachkammer
Wir waren zu meinem Dachkammeratelier hinaufgestiegen, weil ein interessierter Besucher meine alten, in einer Ecke verrottenden Gemälde sehen wollte ...
Wir waren zu meinem Dachkammeratelier hinaufgestiegen, weil ein interessierter Besucher meine alten, in einer Ecke verrottenden Gemälde sehen wollte. Seit vielen Jahren hatte ich den Raum nicht mehr betreten, und wie ich jetzt erkennen musste, waren die Bilder inzwischen noch sehr viel schlimmer geworden. Sie hatten sich ungestört zu allerentsetzlichsten Auswüchsen von Säuferwahn entwickeln können, ihre Betrachtung war ein Schock für mich.
Ich musste mich enorm zusammenreißen, damit ich den interessierten Besucher, der da neben mir gegen die verderbenbringende Offensive der Bilder ankämpfte, nicht mit meiner großen Furcht ansteckte. Die hätte ich nur allzu gern überspielt, indem ich etwa einzelne Gemälde hervorgezogen und mich darüber spöttisch geäußert hätte, doch war an solches Verhalten überhaupt nicht zu denken. Von der bloßen Berührung einer Leinwand schwollen einem die Adern auf den Handrücken an wie Gartenschläuche, die Finger wurden fühllos, die Arme schmerzten. In den Ohren tönte gewaltiges Hämmern und Krachen, eine idiotische Stimme bellte: "Helpuns, helpuns Goth!"
Unserer geistigen wie leiblichen Gesundheit zuliebe mussten wir aufgeben. Ich bedeutete dem Besucher durch Gesten und lautes Rufen, dass wir uns wieder nach unten, in meine karge Wohnung, verfügen sollten. Fiebrig-benommen, mit dem Gefühl, uns eine Vergiftung zugezogen zu haben, kamen wir dort nach einer uns sehr lang erscheinenden Zeit an, um bis zum Abend wie tot in den Fauteuils zu liegen.
"Wie konnten Sie nur solche Bilder malen?", keuchte der Besucher, als er sich langsam wieder erholte. "Wie kann überhaupt ein Mensch so etwas tun?" - "Ich habe nach all den Jahren nur noch eine vage Erinnerung daran", antwortete ich.
Draußen prasselte der Regen aufs Wellblech, zur offenen Balkontür wehte eine frische Brise herein. Mit einiger Mühe entsann ich mich bruchstückhaft: "Damals muss ich Schimpanse in einem Zoo gewesen sein. Meine Pflegerin erkannte mein außergewöhnliches Maltalent, sie gab mir die nötigen Utensilien, ermunterte mich zu eigenen Werken. Ihr verdanke ich meine Erziehung, meine Bildung, meine ganze Entwicklung. Ich liebte sie. Wäre ich ein Mensch gewesen, hätte ich alles darum gegeben, ihr Mann zu werden. Als sie starb, gab ich das Malen auf. Seither stehen die Bilder oben auf dem Dachboden und mutieren. Je unmenschlicher sie im Laufe der Zeit wurden, desto mehr wurde ich zu einem Menschen."
Der Besucher merkte an, einmal von einer ähnlichen Geschichte gehört zu haben: "Es war da, wenn ich nicht irre, von einer Art Seelenwanderung die Rede. Jemand glaubte, ein von der Seele seiner verstorbenen Pflegerin übernommener Schimpanse zu sein. Waren das auch Sie?" - "Ja, tatsächlich", fiel mir bei diesen Worten ein, "jetzt, wo Sie es sagen - das war ich."
Ich holte einen länglichen, dunklen Gegenstand von der Flurgarderobe und erklärte: "Hier, im Knauf dieses Regenschirms, bewahre ich den Rest meiner Schimpansenseele auf. Wenn wir ausgehen, was bisweilen vorkommt, bilden mein Regenschirm und ich eine schöne runde Einheit. Vermutlich sind wir sogar unverwundbar."
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