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die wahrheitIm Jahr des Ochsen: der Doppeltod Obamas

Seit ein paar Monaten diskutieren wir Ausländer hier in Peking wieder verstärkt über unser Lieblingsthema, Chinas Zukunft nämlich. Gerade neulich war es einmal mehr so weit...

Seit ein paar Monaten diskutieren wir Ausländer hier in Peking wieder verstärkt über unser Lieblingsthema, Chinas Zukunft nämlich. Gerade neulich war es einmal mehr so weit. Ein Freund wiederholte mir beim Essen alles das, was er seit Monaten in der Westpresse gelesen hatte: "China ist wirtschaftlich in argen Schwierigkeiten. Demnächst sinkt das Wachstum hier unter acht Prozent. Und wenn es das tut, wird es auch für uns brenzlich. Dann gibt es Aufstände und alles bricht zusammen."

Seine Analyse deckte sich weitgehend mit dem Buch, das ich gerade las. Der Titel lautet "The Coming Collapse of China", und der chinesischstämmige Amerikaner Gordon G. Chang zählt darin eloquent und schlüssig auf, weshalb das chinesische Wirtschaftssystem demnächst kollabieren wird. Unter anderem meint Herr Chang, die chinesische Regierung gäbe zu viel Geld aus, weshalb das Haushaltsdefizit immer größer werde. Zudem arbeiteten die hiesigen Staatsbetriebe nicht wirtschaftlich. Trotzdem zwinge die Regierung die staatlichen Banken, diesen Betrieben Kredit zu geben. Deshalb sei auch das chinesische Bankwesen völlig marode und letztlich zahlungsunfähig. Chang geht in seinem Buch sogar so weit, vorauszusagen, wann China zusammenbrechen wird: in spätestens fünf Jahren.

Ein wirklich überzeugendes Buch. Es hat nur zwei Fehler: Erstens kam es bereits 2001 heraus, und zweitens sind viele Gründe, die Chang für den zwangsläufigen Zusammenbruch der chinesischen Wirtschaft anführt, heute die Rezepte, mit denen man versucht, die Wirtschaft in den USA und Europa zu sanieren.

So ist das eben mit der Zukunft. Weil sie noch nicht passiert ist, halten sich viele für qualifiziert, ihren Senf dazuzugeben. Und wenn die Zukunft dann zur Vergangenheit geworden ist, sind die Bestseller längst verkauft und die falschen Prophezeiungen vergessen. Das werden sich auch die Hongkonger Feng-Shui-Meister sagen. Sie prophezeien Präsident Obama ganz schlechte Karten, weil wir das Jahr des Ochsen schreiben. Obama wurde nämlich 1961 in einem Ochsenjahr geboren, und wenn sich das eigene Tierkreiszeichenjahr wiederholt, ist das nach chinesischer Überzeugung niemals gut: "Der neue US-Präsident", erklärte deshalb der Hongkonger Wahrsager Alion Yeo der Nachrichtenagentur AP, "wird dieses Jahr kein Glück haben." Möglicherweise stehe ihm sogar ein Impeachment-Verfahren bevor. Andere Feng-Shui-Meister gehen noch weiter. In der chinesischen Numerologie gilt die Vier als Unglückszahl, und zwar weil das Wort "si" für "vier" fast genauso klingt wie "Tod". Darum gibt es auch in vielen chinesischen Hotels keinen vierten Stock. Obama ist jedoch der 44. Präsident der USA, und diese doppelte Todeszahl kann nach Überzeugung dieser Feng-Shui-Heinis praktisch niemand überleben.

Nun sind diese Todesahnungen in etwa so ernst zu nehmen wie die China-Untergangsszenarien von Gordon Chang oder Teilen der westlichen Medien. Aber weil man in China und um China herum viel und gern prophezeit, will ich das jetzt auch mal tun: In spätestens fünf Jahren wird mir für diese China-Kolumne hier der Pulitzer-Preis verliehen. Aber bitte gratulieren Sie mir schon jetzt dazu!

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1 Kommentar

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  • A
    anke

    Glückwunsch, Herr Schmidt! Na, vielleicht nicht unbedingt zum Pulitzerpreis, aber jedenfalls zu ihrer herzerfrischenden Skepsis. Und natürlich dazu, dass man Sie in der taz solche Kolumnen schreiben lässt.