die wahrheit: Stressfaktor Stressfrau
Freitagabend. In der U-Bahn. Das Trio gegenüber kommt aus der Uni und plant den ersten Wochenendabend...
Ein Student und zwei schmucke Schwestern oder zumindest zwei, die sich so ähnlich sehen, dass die eine einen Nasenring tragen muss, damit man sie unterscheiden kann. Die Rechte zwitschert in ihr Handy und gibt ihrem Freund Anweisungen, was er schon mal mit den vier Pizze tun soll. Zu seinem Erstaunen wird Pizza in einem Backofen in einen verdauungsgerechten Zustand gebracht.
Frau Nasenring sitzt in der Mitte und pappelt vor sich hin. Links von ihr hockt der seltsame Student, der faszinierend hässlich ist. Seine Haut hat eine milchig gelbliche Farbe. Er wirkt geradezu blutleer. Seine Kleidung würde Frau Nasenring sicher als "uncool" bezeichnen. Er trägt keine Markenturnschuhe, und seine gräuliche Regenjacke lässt ihn noch einen Hauch fahler erscheinen.
Der Blutleere hat nur Augen für Frau Nasenring, die deshalb auch gleich die Grenze zieht und von ihrem "früheren besten Freund" erzählt. Mit einem Anflug von Ironie wiederholt der Blutleere die drei Worte. Bei ihm liegt die Betonung auf "früherer". Ungerührt berichtet Frau Nasenring weiter: "Mein früherer bester Freund hat sich in mich verliebt. Ich konnte das nicht ertragen. Und deshalb haben wir uns nicht mehr getroffen."
Was der frühere Freund dabei wohl ertragen musste, fragt sich der Blutleere, obwohl seinem ausdruckslosen Gesicht nichts anzumerken ist. Aber er ist so klug, zu ahnen, was der Abend ihm bringen wird: Pizza zu viert bei den Zwillingen. Mit dem coolen Freund der Schwester, der irgendwas mit Medien macht und sogar schon mal Praktikant beim Spiegel war.
Später wollen die anderen drei noch in einen Club, wo der Blutleere nach einem Bier bemerkt, dass seine Angebetete nur deshalb ausgehen wollte, weil sie vor ein paar Tagen dort jemanden kennengelernt hatte. Der Blutleere ist nur das Anhängsel, mit dem sie "toll reden" kann. Schließlich wird er bedrückt nach Hause gehen, ins Bett fallen, sich einen auf sie herunterholen, um dann kreuzunglücklich einzuschlafen.
Wenn er wirklich klug wäre, würde er sich am Montag mit der Assistentin des Professors verabreden. Die ist zwar nicht hübsch und eher langweilig, aber sie ist patent und mag ihn, und beide würden gemeinsam im weiteren Leben für ihre Verhältnisse Großes auf die Beine stellen, auch wenn er noch jahrelang nachts von Frau Nasenring träumt.
Inzwischen sendet die Beringte das letzte Signal: "Ich bin total im Stress", sagt sie, "alles, was ich gelernt habe, muss ich jetzt auch anwenden." Besonders ihre Kenntnisse im Fach Dummschwätzen. Das Signalwort heißt "im Stress". Das würde jemand, der einer geregelten Arbeit nachgeht, nie sagen. Selbst am Fließband in einer Schokoladenfabrik wäre das von den tatsächlich hart arbeitenden Schichtfrauen niemals zu hören: "Ich bin total im Stress." Das sagen nur junge Mütter, Studentinnen und Nebenerwerbsschlampen.
Frauen "im Stress" sind Stressfrauen. Davon muss man die Finger lassen. Die machen einen todunglücklich. Jetzt sollte man aufstehen, zu dem Bedauernswerten hinübergehen und sagen: "Renn, Blutleerer, renn!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands