die wahrheit: Ceauşescus späte Rache
Warum in Deutschland immer mehr rumänische Akkordeonspieler herumlärmen.
Es fing alles so harmlos an, beinahe betörend. Wehmütig wimmerte das Akkordeon, sehnsuchtsvolle Balkanmelodien wärmten das Gemüt des eilig dahinhastenden Großstadtbewohners. "Seemann, lass das Träumen", und so mancher Karpatentango versüßten das Warten an der Bushaltestelle oder den Abstieg in die U-Bahn. Es war eine willkommene Abwechslung zu den ponchobehangenen Indio-Combos, die mit ihren schrillen Panflöten jahrelang die Fußgängerzonen in Monopolstellung beschallt hatten. Jetzt gab es statt "El Condor pasa" eben "Die Liebe von Zigeunern stammt".
Der Erfolg der Akkordeonspieler muss sich wie ein Lauffeuer in den Schluchten des Balkan herumgesprochen haben. Bei einem einstündigen Rundgang durch die winterliche Münchner Innenstadt waren zehn Musiker zu hören, die noch in den entlegensten Winkeln in die Tasten griffen. Bibbernd und zitternd eilten die Passanten vorbei, in stoischer Ruhe und von der Kälte völlig unbeeindruckt werkten dagegen die Spieler. Offenbar wärmen diese quengelnden Weisen von innen. Und es sind die unterschiedlichsten Spielertypen zu beobachten: vom zaghaft sich durch die Akkordfolgen tastenden Novizen über den unverzagt frohsinnigen Routinier bis hin zum vorzugsweise in hallenden Passagen auftrumpfenden Wummervirtuosen. Gemeinsam aber ist allen das äußerst begrenzte Repertoire sowie eine erstaunliche Malocherqualität, die einen tieferen Sinn ihres Tuns erahnen lassen.
Vermutlich handelt es sich bei dem akustischen Generalangriff um eine von langer Hand geplante Zermürbungsstrategie der rumänischen Musette-Mafia. Ausgebildet in Ceausescus Kaderschmieden, in den Trainingslagern der Securitate zu gnadenlosen Quetschkommoden-Kommandos zusammengeschweißt, haben die Musikanten nichts weniger im Sinn als die totale Verunsicherung des Westeuropäers. Und mit den perfiden Methoden ihres Softterrors sind sie schon weit gekommen.
Ein Blick in den Zehnjahresplan der Bukarester Musikhochschule "Adrian Melodescu" gewährt Aufschluss über die wahren Ziele der rumänischen Staatsführung. Jährlich sollen bis zu 5.000 Tastentalente durch den knallharten Ausbildungsgang und anschließend in die Fußgängerzonen Westeuropas geschleust werden. Trojan Hutu, Leiter der Hochschule, spricht denn auch mit entwaffnender Offenheit über die Bedeutung dieses Musikexports: "Ein armes Land wie Rumänien braucht dringend Exporterlöse. Die Straßenmusikanten sind neben Dacia unser zweitwichtigster Exportschlager. Zwar mögen die Einnahmen des einzelnen Musikers geringfügig erscheinen, aber viele Schwalben machen auch einen Sommer, wie wir hier sagen."
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Was er nicht sagt: Die Musikanten mit ihren selbstklingenden Unterbrechungs-Aerofonen haben einen viel weitgehenderen Auftrag als die bloße Abschöpfung westeuropäischer Kleingeldreserven. Ihr Ziel ist die vollständige Zermürbung, ja, Zerrüttung unseres ohnehin angegriffenen Nervenkostüms. Insofern knüpft diese Strategie nahtlos an die größenwahnsinnigen Weltherrschaftspläne des irren Diktators Ceausescu an, der in den Achtzigerjahren vom endgültigen Zusammenbruch des morschen Finanzimperialismus und dem Beginn des "rumänischen Jahrhunderts" faselte.
Um diese totalitäre Vision heute Wirklichkeit werden zu lassen, bedient sich die Bukarester Musikhochschule ausgeklügelter Methoden der psychologischen Kriegsführung, denen der urbane Individualismus wenig bis nichts entgegenzusetzen hat. Der Auftrag lautet: zielführende Verengung des Repertoires. Waren zu Beginn der Akkordeonisteninvasion durchaus noch verschiedene Musikstücke zu unterscheiden, wird mittlerweile die Auswahl so lange systematisch reduziert, bis nur noch ein Stück übrigbleibt - eine endlos vor sich hindudelnde Endlosschleife, die aus allen Ecken und Nischen dringt und vor der es kein Entrinnen gibt. Es handelt sich bei dieser musikalischen Allzweckwaffe, die alle Absolventen der Hochschule in Perfektion beherrschen müssen, um die Komposition "Lamento systematico für Handzuginstrument" des Komponisten Dejan Popescu. Dieses Stück kennt weder Anfang noch Ende, es gleicht in seinem höhepunktlosen Dahinplätschern einem "perfekt ereignislosen Sommertag am Fuße der Karpaten", wie der Temesvarer Musikkritiker Andreas Mühl so überaus treffend formulierte.
Sicher, es mag hierzulande den einen oder anderen Musikliebhaber geben, der der einschläfernden Schallerzeugung der balkanesischen Marathonspieler etwas abzugewinnen vermag, doch den allermeisten geht die Rundumbeschallung nur noch auf den Senkel. Ein Ausweg aus der Musikalienkrise ist derzeit aber nicht in Sicht. Unermüdlich rollen neue Akkordeontruppen über die mit EU-Mitteln bestens ausgebauten Nachschubwege, besetzen jede Unterführung, Passage oder Toreinfahrt und arbeiten bis zum Umfallen an der endgültigen moralischen Auszehrung der Wohlstandsregionen. Hier ist eindeutig der Gesetzgeber gefordert!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen