die wahrheit: Unterwegs mit der Klinik auf Rädern
Nach den vielen Fehlern zuletzt wendet sich bei der Deutschen Bahn alles zum Guten: Jetzt kommt der MediTrain.
Deutschland ist keine Servicewüste mehr. Längst ist der Dienstleistungsgedanke in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen, haben wir uns an die kostenlose Autowäsche für Gottesdienstbesucher, ambulante Friseure in der S-Bahn oder den Schuhputzer auf der Rolltreppe gewöhnt. Minijobber, zu allem entschlossene Aufsteiger aus dem Prekariat und Lohnsklaven aus den neuen Bundesländern machen es möglich.
Einzig die Deutsche Bahn schien von dem kundenorientierten Serviceangebot gänzlich unbeleckt: Die Beispiele sind Legion und sie hier zum tausendsten Mal aufzuzählen, hieße wahrlich weiße Rosen nach Athen zu tragen. Nein, die Bahn zu preisen sind wir hier, denn sie hat ein so innovatives System auf die Schienen gestellt, dass wir nicht müde werden wollen, den vielgeschmähten Mobility-Dienstleister heute einmal über den grünen Klee zu loben.
Grund für die ins Positive gedrehte Grundhaltung ist ein Überraschungscoup der Bahnführung: die Einführung des MediTrains. Die Klinik auf Rädern bedeutet für den Patienten einen nicht zu unterschätzenden Zeitgewinn. Gerade unter Dauerstress stehende Leistungsträger nutzen die Fahrzeit und lassen sich gern mal bei Tempo 200 durchchecken. Kleinere Eingriffe werden ambulant durchgeführt, aber auch für größere Operationen ist Ausrüstung und Personal vorhanden. "Mit dem rollenden Krankenhaus ist ein alter Menschheitstraum in Erfüllung gegangen", schwärmt Chefarzt Dr. Hermann Klettenkötter.
"Operieren auf Rädern war ja bislang nicht möglich, aber in unserem neu entwickelten schwingungsgedämpften OP-Wagen können selbst hochriskante Hirnoperationen praktisch erschütterungsfrei durchgeführt werden. Nur wenn der Zug gerade über eine Weiche fahrt, kann einem mal das Skalpell ausrutschen", räumt der 54-jährige Familienvater mit einem Schmunzeln ein. Aber im Normalfall sei kein Unterschied zu einer Krankenhaus-Operation zu spüren. Und so wird bei Fahrten durch die Republik von einem erfahrenen Ärzteteam von der Blinddarmoperation bis zur Herztransplantation jede nur erdenkliche Operation ausgeführt.
Doch was passiert eigentlich mit den frisch operierten Fahrgästen, wenn der Zug an seinem Bestimmungsort angekommen ist? Eine Frage, auf die Dr. Klettenkötter nur gewartet hat. "Da haben wir eine völlig neuartige Just-in-time-Anlieferung unserer Patienten entwickelt, die stationär untergebracht werden müssen. Wir telefonieren sofort nach der Operation mit den auf unserer Strecke gelegenen Krankenhäusern, und wo ein Bett frei ist, wird der Patient bei einem Zwischenhalt vom Krankenwagen abgeholt. Dieses System ist sehr flexibel und hat sich bestens bewährt, da es ja auch die Auslastung der Kliniken verbessert."
Auch den oft geäußerten Vorwurf der Zwei-Klassen-Medizin in seiner Klinik auf Achse will Klettenkötter nicht gelten lassen. Zwar gibt es im MediTrain tatsächlich je einen Hospital-Waggon in der Ersten und Zweiten Klasse, doch die Behandlung sei überall die gleiche, versichert der sympathische Hobbyangler. Der einzige Unterschied bestehe in der Unterbringung: Erste Klasse bedeutet Einzelabteil, Zweite-Klasse-Patienten müssen mit der Liege im Sechser-Abteil vorlieb nehmen. Und auch in ihrer Preisgestaltung hat die Bahn an die einkommensschwachen Schichten gedacht. Saisonale Sonderangebote wie zum Beispiel das Blinddarm-Spezial für 89 Euro auf der Strecke Köln-Rostock sind wohl wirklich für jedermann erschwinglich.
Da das Angebot schon jetzt von den Passagieren der Deutschen Bahn sehr gut angenommen wird, plant das Unternehmen die Einführung einer BahnCard99, die das Portfolio im Tarifsystem neben der BahnCard25, der BahnCard50 und der Mobility BahnCard100 ergänzen soll. Die "99" steht dabei für die von der DB AG garantierte 99-prozentige Sicherheit, nach der Operation am Bestimmungsort anzukommen.
Mit dem MediTrain scheint der gebeutelten Bahnführung tatsächlich ein großer Wurf gelungen zu sein. Größere Zwischenfälle gab es seit Einführung der schienengebundenen ärztlichen Versorgung kaum. Nur einmal kam es zu einem Unfall mit Personenschaden, als ein Landwirt aus Delmenhorst mit seinem Mähdrescher auf einem unbeschrankten Bahnübergang hängenblieb und vom heranrasenden MediTrain trotz Notbremsung erfasst wurde. Der Bauer starb noch an der Unfallstelle.
Doch selbst diesem tragischen Unglücksfall konnte das Ärzteteam des MediTrains noch seine gute Seite abgewinnen, wie Dr. Klettenkötter nicht ohne Stolz erzählt. Glück im Unglück hatte nämlich ein seit langem auf eine Spenderniere wartender Fahrgast, denn der verunglückte Landwirt trug einen Organspenderausweis bei sich, und so konnten die Ärzte an Ort und Stelle eine Nierentransplantation durchführen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!