die wahrheit: Grenze am Grund
Ein roter Strich markiert jetzt im Bodensee unter Wasser den genauen Grenzverlauf.
Noch ist es ruhig auf dem Untersee, den sich Baden-Württemberg und die Schweiz teilen. Nur morgens fahren die Fischerboote auf das kleine "Badische Meer" zwischen Konstanz und Stein am Rhein, und ab und zu sieht man ein paar winterharte Segler - die Zöllner und Grenzpolizisten haben nicht viel zu tun. Sie haben genug Zeit, im klaren Wasser die neueste Errungenschaft der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu begutachten.
Seit Dezember 2008 ist die deutsch-schweizerische Grenze mit einer roten Linie unter Wasser markiert, wie auf den Landkarten, die ja den Anspruch haben, die Realität abzubilden - hier wird also zusätzlich die Realität der Karte angepasst. Der Untersee ist der kleinere der beiden Seen des Bodensees. Im Gegensatz zum Obersee, der eine Art internationales Gewässer ohne klare Grenzen darstellt, ist der Untersee durch Grenzverträge von 1854, 1878 und 1879 klar aufgeteilt zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich und seinen Nachfolgern.
Sobald der Frühling wärmere Temperaturen bringt, wird der See von Booten aller Art belebt: Segel- und Solarboote, Ruder- und Paddelboote, Fischer- und Unterseeboote. Was so harmlos aussieht, wird oft zu spät als Schmugglerboot krimineller Banden enttarnt. Bei den Kontrollen auf dem See wurde es deshalb immer wichtiger, auf den Meter genau zu wissen, wo die Grenze im See verläuft, damit die deutschen Zollfahnder auch wissen, bis wohin sie zugreifen können.
Der Untersee war schon immer ein Weg, um die offiziellen Grenzübergänge zu umgehen. Während in den Dreißigerjahren noch Flugblätter und illegale Schriften über den See gerudert wurden, sind es heute andere Papierbündel: paketweise gebündelte 500-Euro-Noten, die in das "Steuerparadies" Schweiz transportiert werden, wo sich selbst kleine Kantonalbanken mit dem Geld deutscher "Steuerflüchtlinge" schöne postmoderne Paläste gebaut haben.
Es war ein langer Weg bis zu der roten Unterwassergrenze. Wie bei anderen Projekten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit dauerte es Jahre, bis sich internationale Kommissionen geeinigt haben, ob es aus EU-Mitteln des "Interreg-Programms" gefördert wird. Klaus-Dieter Schnell, der Geschäftsführer der Internationalen Bodenseekonferenz, war erleichtert, als es endlich grünes Licht für die rote Grenze gab.
Die technischen Probleme waren größer, als man zuerst dachte, aber in dieser Hightech-Region, in der selbst ein Gemüsebauernkaff wie Tägerwilen sein "High-Tech-Center" hat, schreckt man vor keiner technologischen Herausforderung zurück. Für die Verfahrenstechniker der Fachhochschule im Konstanzer Stadtteil Paradies sind Probleme da, um kreativ und innovativ gelöst zu werden. Welches dauerhafte und zugleich umweltfreundliche Material? Welche Farbe ist am besten sichtbar, bis zu welcher Tiefe? Wie wird das Band befestigt? In der Flachwasserzone war es noch einfach, aber der mittlere Bereich des Sees ist einfach zu tief, um ein rotes Band auf dem Grund zu erkennen. Mit einem deutsch-schweizerischen Kompromiss einigte man sich auf ein fluoreszierend rotes Band aus einer reißfesten Kunststofffolie, das bei einer Tiefe von mehr als 7,5 Metern (387,8 Meter über Normalnull) schwimmend verlegt wird, alle 25 Meter im Seegrund verankert. Um keine Seite zu bevorzugen, wurde das rote Band von einer Firma aus dem neutralen Vorarlberg bezogen. Verlegt wurde es bei niedrigem Wasserstand von Tauchern der Unterwasserarchäologie, die gerade eine Pause zwischen zwei größeren Projekten hatten.
Nachdem die Planung und Ausführung der Unterwassergrenze von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wurde, kommen jetzt die ersten Reaktionen von Betroffenen: Die Fischer haben sich erst etwas überfahren gefühlt, aber sie erkennen jetzt auch die Vorteile, denn so sind die deutschen und die Schweizer Fische leichter auseinanderzuhalten. Ganz begeistert ist auch Kai Wette, der Chef des größten Kanuverleihs: "Das wird die Orientierungslinie für zehntausende von Paddlern im Sommer!"
Die feierliche Eröffnung der Unterwassergrenze findet am 24. April statt, einen Tag vor der internationalen Flottensternfahrt zur Saisoneröffnung der "Weißen Flotte". Für den Transport der deutschen Staatssekretäre und der Schweizer Regierungsräte zur Grenze stellt die Wasserschutzpolizei Reichenau ihr Unterseeboot zur Verfügung. Die Trachtengruppe, die nur bei hochoffiziellen Anlässen zu sehen ist, kommt mit dem Solarboot von Radolfzell her. Fast genau zwei Jahre nachdem zwischen Konstanz und Kreuzlingen ein Teil des Grenzzauns durch die "erste Kunstgrenze" der Welt - mit 22 abstrahierten roten Tarot-Figuren des Künstlers Johannes Dörflinger - ersetzt wurde, ist es jetzt die weltweit einzigartige Unterwassergrenze, die eröffnet und bald als "Sea-Art" gefeiert wird.
Nur im Sommer, wenn das Wasser etwas trüb ist, wird sie stellenweise schwer zu erkennen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen