die wahrheit: Verkeilte Zinken
Fehlentscheidungen der Jobcenter. Da es in Dortmund immer mehr Gabelstaplerfahrer gibt, kommt es zu ersten blutigen Unruhen.
![](https://taz.de/picture/351891/14/0571.jpg)
Wer länger keine Arbeit findet, der bekommt von seinem Jobcenter eine "Maßnahme" verpasst: Irgendeinen mehrwöchigen oder -monatigen Lehrgang, um etwas Neues zu werden, weil das, was man bereits ist, zu nichts taugt. Doch bei diesen Maßnahmen sind viele Arbeitsvermittler nicht eben einfallsreich. Vor allem nicht in Dortmund. Dort werden nahezu alle Arbeitslosen Gabelstapler-Maßnahmen verschrieben. "Ein Gabelstaplerschein ist immer gut", heißt es unter Arbeitsvermittlern. Warum so fantasielos, möchte man ihnen da zurufen, warum nicht mal was anderes, warum nicht mal was Lukratives, ein Chirurgen- oder ein Zuhälterschein, oder was Schönes: ein Opernkritiker- oder ein Bauchrednerschein, der Effekt ist doch derselbe, die Arbeitslosen verschwinden aus der Arbeitslosenstatistik, so oder so.
Zu spät. Mittlerweile hat halb Dortmund einen Gabelstaplerschein. Manche Dortmunder haben schon mehrere, für Fortgeschrittene, für Fortgeschrittene II, für Virtuosen, manche haben sogar einen Spezialschein, einen Geländegabelstaplerschein, aber immer noch keinen Job. "Der Markt an Staplerfahrern ist in Dortmund gesättigt. Man bräuchte mehrere Gabelstapler, um all die Gabelstaplerscheine zu stapeln", sagt ein alter Hase der Branche und schüttelt traurig den Kopf. So lungern viele Staplerfahrer nach ihrer Maßnahme nur herum, stapeln daheim leere Bierkisten, Rechnungen oder zurückgesandte Bewerbungsunterlagen und träumen vom Tod.
Aber nicht alle. Manche geben nicht so schnell auf und machen sich selbständig, schlagen sich irgendwie durch. Vor allem die Neulinge, die den Markt weiterhin überschwemmen. Sie lassen den Kopf nicht hängen, sondern erstehen ein rostiges Auslaufmodell bei Ebay, um als Gelegenheitsstapler ihr Glück zu versuchen. Aus dem Dortmunder Straßenbild sind sie heute kaum noch wegzudenken. Überall kurven sie herum, auf der Suche nach einem kleinen Auftrag.
Irgendeine Stapelei ergibt sich immer: Ein paar Obstkisten beim Gemüsehändler, ein Rollstuhlfahrer vor einer Treppe, ein paar Giftmüllfässer nach Nirgendwo. "Staplerfahrer kann man immer brauchen", erklärt ein Mitarbeiter des Dortmunder Ordnungsamts, der gern einen kleinen Auftrag vergibt: "Obdachlose am Bahnhof aufsammeln, bis zu fünf zugleich - und ab damit in die Vorstadt!", schmunzelt er und kann dabei verschmerzen, dass sich durch den Gabelstaplerboom die Staus und Auffahrunfälle verhundertfacht haben. Und Fußgänger im Verkehrswirrwarr schon mal mit einem breiten Schlitz im Bauch enden.
Gabelstapler sind vielseitig einsetzbar. Ob als Umzugs-, Leichen-, Heu- oder Golfwagen oder einfach als Taxi. Gerade transportiert ein Gabelstapler einen Herrn im Anzug nebst einer Dame im elfenbeinfarbenen Etwas. Ihr Fahrer hat eine Marktlücke gefunden, sein Gefährt fungiert als Hochzeitskutsche für Hartz-IV-Empfänger und ist ständig ausgebucht. Andere Fahrer haben weniger Glück. Ziellos tuckern sie umher, rollen die Fußgängerzone tatenlos auf und ab, umrunden oder rammen die Jobcenter.
Das Angebot an Staplern übersteigt in Dortmund die Nachfrage bei weitem. Die Lage spitzt sich zu. Viele Fahrer frisieren ihren Stapler, um noch mitzuhalten, oder buhlen mit Megafonen und Lichthupen um Aufmerksamkeit. Denn die Konkurrenz ist mörderisch. Regelmäßig kommt es zu Zusammenstößen, zu blutigen Rangeleien, bis sich die Gabelzinken ineinander verkeilen. Da geht mitunter ein Arm verloren oder ein Kopf entzwei. "Wer hätte denn das ahnen können", seufzt ein Jobcenter-Leiter, der zumindest das Problem erkennt. Andere ignorieren es: "Dortmund hat kein Gabelstaplerproblem. Das ist eine Erfindung der Medien! Wir haben ja auch andere Berufsgruppen vorzuweisen: Bratwurstbrutzler, Kaugummikratzer und 997 Arbeitsvermittler", erklärt der Dortmunder Bürgermeister und springt rasch über den Rathausvorplatz, damit ihn keiner der Stapler überrollt.
Immerhin einen Fortschritt gibt es: Geplant ist, künftig mit anderen Städten zusammenarbeiten, um der Misswirtschaft schleunigst Herr zu werden. Gelsenkirchen meldet eine Überproduktion an Mörtelmischern, Bielefeld kann sich vor Facility-Managern kaum retten, in Paderborn türmen sich die IT-Experten. Durch gezielte Austauschprogramme sollen die Probleme in Zukunft behoben werden.
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