die wahrheit: Alte Swinger
Menno, alt müsste man sein, richtig scheißalt, damit man endlich in das Dibeliusstift, "Berlins traditionsreichste Seniorenresidenz", umziehen und an den kinky Spielen teilnehmen kann, die die umtriebigen Greise dort pflegen
"Wir treffen uns im Festsaal!", behaupten zum Beispiel zwei lächelnd die Dritten bleckende Eminenzen namens "Anna & Max" in schöner altdeutscher Schreibschrift auf einem Dibeliusstift-Werbeplakat in der U- Bahn, und dass darunter in fast der gleichen Schreibschrift "zum Gruppensex!", Unterschrift "Erna & Otto" prangt, das lässt doch noch hoffen. Denn ganz ehrlich, was soll die Werbeagentur des Stifts gegen so viel vielversprechenden Swinger-Vandalismus schon machen? Eben! Als ob das nicht erst recht für Zulauf sorgte. Da müssen sich die anderen Stifte aber warm anziehen, ganz warm. Sonst sitzen sie bald da mit ihren rindefreien "Hausfreund"-Landbrotschnittchen und dem Bienenstich am Nachmittag, und tout le vieux Berlin tummelt sich nebenan bei Otto Dibelius, einem evangelischen Theologen übrigens, kicher. Aber gut, ich bin ja nur neidisch. Aus reinem Frust habe ich darum auch neulich beim blöden Ikea-Möbelrundgang, um den man perfiderweise nie herumkommt, selbst wenn man nur eine einzige billige Fußmatte kaufen will, auch ein paar sehr hübsche Freizeitgestaltungsvorschläge auf einem Ordnung vortäuschenden, in einer Deko-"UDDEN"-Küchenzeile hängenden Deko-Terminplanerblatt hinterlassen.
Der Dibeliusstiftorgienveranstalter und ich sind eben aus einem Holze. Aber wahrscheinlich schockiert das Raunhild und Pippi und Sören und Björn oder wie die da heißen ohnehin nicht, denn die Skandinavier sind bekannt für ihre gruselige Toleranz, haben entweder den Pornofilm erfunden oder leben ihn, und ich würde mich nicht wundern, wenn sich am 12. 6., an dem ich der virtuellen Ikea-Familie per Fake-Terminplanereintrag einen - selbstverständlich einverständlichen - GangBang aufs Auge gedrückt habe, ein paar freundliche blonde Menschen vor dem Ikea-Tempelhof-Gebäude einfänden und ohne Reue - und ohne mich - Spaß hätten. Wobei mir noch einfällt, dass ein Freund neulich beim lange verschämt vor sich hergeschobenen Einkauf in einem Erotikkaufhaus fragte, ob man mit Karte zahlen könne, und der spaßige Verkäufer antwortete: Klar, aber nur mit Ikea-Family, harhar. Auch unter Erotikfachverkäufern gibt es eben Füchse.
Obwohl ja bislang die Kosmetikfachverkäuferinnen meine Lieblinge waren. Ich kann keiner Kosmetikfachverkäuferin über 50 widerstehen, wenn sie da so mit ihrem perfekt geschminktem, faltigen, weisen Gesicht ankommt und traurigäugig behauptet, mir fehle es einfach nur ein bisschen an "Blush", schon lösten sich alle meine Probleme - schwups trage ich eine viel zu teure Portion Puder nach Hause, und die Fachverkäuferin wackelt grinsend zurück in ihr fideles Dibeliusstift und freut sich, mal wieder eine der Jüngeren übers Ohr gehauen zu haben. Immer diese Alten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen