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die wahrheitJeder Anschlag ein Cent

Begnadeter Journalismus - Aus der Trickkiste für freie Mitarbeiter.

Eine Zeile, das kann vieles sein. Ein gewitzter Werbeslogan, ein markiger Merksatz für Manager, ein rabiater Richterspruch oder ein vierfüßiger Vers aus einem Grand-Prix-Song. Doch während diese hunderte oder tausende Euro wert sind, sind Zeitungszeilen nicht ganz so rentabel: Zwischen 6 Cent und 1,50 Euro bringen sie dem freien Journalisten ein, über 50 Cent aber nur selten.

Für eine begnadete Zeile wie "Eine Zeile, das kann vieles sein", an der man schon eine Weile feilt, kann sich der Autor also wahlweise einen Schokoriegel kaufen, ein Ei aus Bodenhaltung oder eine Bahnsteigkarte, um sich vor den nächsten Zug zu werfen. Denn lebenswert ist sein Dasein nicht. Für mehrere Tage Arbeit bestenfalls 300 Euro einsacken, das ist schon trist. Doch im Freitod muss das Ganze dann doch nicht enden, kursieren doch unter freien Journalisten ein paar Tricks, um die eigene Besoldung etwas aufzubessern.

Trick 1: Strecken

Glückliche Journalisten, deren Sprachfamilie die finnougrische ist! Der Ungar schraubt einfach Wörter wie "Katonaiszolgálatmegtagadó", "illetménykiegészités" oder "gabonakereskedelens" aneinander, schon walzt sich eine Kurznachricht locker über fünf Spalten. Aber Zeilen schinden, Texte strecken, das klappt auch im Deutschen. Warum denn noch von "Straßen" schreiben, wenn es "Asphaltschluchten" ebenso tun? Warum statt "Möbel" nicht "Einrichtungsgegenstände" verwenden, statt "lustig" nicht "zwerchfellerschütternd", statt Politiker nicht "Staatsrepräsentanten"? "Zwerchfellerschütternde Staatsrepräsentanten" - das ergießt sich über zwei Zeilen und bringt bereits ein Bio-Ei.

Das Gleiche gilt für ganze Themenkomplexe: Warum Sujets wie Tod oder Kot aufgreifen, wenn Menschen mit Migrationshintergrund, die mit Massenvernichtungswaffen hantieren, ohnehin viel spannender sind? Wer clever ist, fängt schon im Kleinen an: bei den Buchstaben. Ein W macht sich nun mal dreimal so breit wie ein I. "Intim-Piercings bei Iltissen" sind thematisch also eher nicht zu empfehlen. Lukrativer ist da schon das "Wirrwarr im World Wide Web".

Trick 2: Mehrfachverwerten

Noch perfider, noch raffinierter: Viele einmal verfassten Zeilen lassen sich locker mehrfach verwerten, in immer neuen Zusammenhängen. Ein Repertoire aus hundert, zweihundert Zeilen reicht vollkommen aus. Mit einer Wendung wie "Das Wasser steht ihnen bis zum Hals" lassen sich nicht nur Karstadt-Kassiererinnen porträtieren, sondern auch die deutschen Spitzenbrustschwimmer oder die maledivischen Ureinwohner, denen der steigernde Meeresspiegel allmählich zu schaffen macht.

Wer noch ein paar Universal-Phrasen sucht, der kopiert einfach die Einstiegssätze des Spiegel. Die Sentenz "Eigentlich ist es egal, was er sagt, am Ende wird immer gejubelt" ist zwar auf Obama gemünzt, lässt sich aber bei Publikumslieblingen wie Mario Barth, Benedikt XVI. oder Kim Jong II zweitverwursten.

Trick 3: Imaginieren

Um schreibend über die Runden zu kommen, sollte man ein wenig Gas geben und pro Monat Artikel in dreistelliger Stückzahl verfassen. Um das auch tatsächlich zu schaffen, lässt man am besten alles Überflüssige weg. Zum Beispiel die Recherche. Statt zeitraubend von A nach B zu juckeln oder Hintergrundmaterial zu sichten, ist es ratsamer, sich auf ausschweifende Auslandsreportagen zu verlegen und diese am heimischen Schreibtisch auszubrüten. Je abseitiger Stoff und Region, desto seltener wird sich ein Redakteur aufraffen, die Infos gegenzuchecken. Arbeitsmarktreformen in Aserbaidschan, Geschlechterkämpfe auf Grönland oder die SM-Szene in Libyen - erlaubt ist, was mitreißt und sich flott bebildern lässt.

Trick 4: Outsourcen

Vielerorts werden Zeilenhonorare weiter gedrückt, vor allem in der Provinz. Nicht wenige Lokalredaktionen lassen ihre Beiträge längst von Schülern und pensionierten Lehrern verfassen, weil die nicht groß die Hand aufhalten. Den Trick können sich freie Journalisten abschauen und einfach selbst ein paar Ghostwriter anheuern, die sich für 2 Cent pro Zeile den rosigen oder faltigen Hintern aufreißen.

Dann reicht man unter dem eigenen Namen die Texte ein, kassiert 10 Cent pro Zeile und macht dabei Gewinn. In Grundschulen oder Seniorenstiften lassen sich leicht ein paar Handlanger finden. Fällt die Gewinnspanne noch immer zu niedrig aus, drückt man noch mal die Preise und zieht seinen Mitarbeitern beispielsweise Leerzeichen und halbe Zeilen vom Honorar wieder ab. "Leerzeichen mitbezahlen?! Ich bezahl euch ja nicht fürs Nichtstun!", herrscht der ausgefuchste freie Journalist sein Heer an Helferlein an und macht es sich mit ein paar Schokoriegeln derweil daheim gemütlich.

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3 Kommentare

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  • EL
    e l

    Noch'n Tipp aus eigener langjähriger Leidensgeschichte:

     

    Man spreche für O-Ton-Einlagen am Besten nur mit jungen dynamischen Frauen. Die haben nämlich meist Doppelnamen und schwups: Schon wieder ist 'ne Zeile mehr dabei.

  • T
    Tamás

    Sehr geehrte Frau Werner,

     

    das von Ihnen herangezogene Wort "katonaiszolgálatmegtagadó" würde im ungarischen, sofern es das Wort in dieser Form gäbe, "Kriegsdienstverweigerer" bedeuten... und wäre dabei ganze zwei Zeichen länger als die (hierzulande gebräuchliche) deusche Variante.

     

    Falls Sie ein zweisprachiges Buch zur Hand haben sollten, wird Ihnen sicherlich auffallen, dass der Text der deutschsprachigen Seite im Allgemeinen um etwa 15% länger ist.

     

    Das ungarische erlaubt zwar einem dank der Suffixe wahre Silbenfluten an ein Wort zu packen, aber das deusche steht dem dank der Substantivaneinanderreihung in Nichts nach. Aus einem deutschen Gesetzbuch:

     

    "Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz"

    oder etwa "Betäubungsmittelverschreibungsverordnung"...

     

    Damit lassen sich doch auch prima einige Zeilen vollkrigen ;)

     

    Mit freundlichem Gruß

     

    Tamás

  • DH
    Der Hagen

    Wie wahr - wie wahr!

    Und danke für die Tipps ;)

     

    der-hagen.de