die wahrheit: Sehnsucht nach Aldi
Seit Schopenhauer und Kierkegaard und dann vor allem Karl Kraus ist allgemein bekannt, dass Feuilletonisten Nichtsnutze, Narren, Narzisse und ihre sogenannten Artikel Schund, Schrott, Schamott sind...
...Kraus Bonmot von den auf der Glatze gedrehten Locken reicht allerdings nicht hin; denn so übel kann einem kaum werden, wie das täglich Zeug zusammengesponnen ist.
Das kulinarische Feuilleton macht da keine Ausnahme. Ein, Ehrenwort!, zufällig aufgelesener Satz von Keto von Waberer zum Thema "Mann und Dose": "Wo mag es herkommen, dieses mysteriöse Sehnen, zu Aldi zu pirschen, in ein Regal zu greifen, eine in Metall verpackte Futterration zu erbeuten, sie heimzuschleppen und ihr dort mit dem dafür vorgesehenen Werkzeug beizukommen, ihren Widerstand zu brechen, sie zu öffnen und auszuwaiden."
Abgesehen davon, dass "auswaiden" mit "ei" geschrieben wird- ist ja bloß ein Edelpeteteband bei Klett-Cotta, in dem sich diese Pestpetitesse findet - was stimmt an und in diesem Satz? Außer dem erweiterten Infinitiv "in ein Regal zu greifen": nichts.
Okay, nehmen wir noch "sie zu öffnen" hinzu. Aber ein "mysteriöses Sehnen", zu Aldi zu gehen oder zu fahren, gibt es nicht; niemand sehnt sich danach, zu Aldi zu gehen oder zu fahren. Man fährt oder geht zu Aldi, weil das Angebot günstig ist oder der Laden um die Ecke liegt. Das ist weder mysteriös noch Ausdruck einer Sehnsucht. Es ist eine Banalität.
Niemand "pirscht" zu Aldi. Es ist in dieser uns bekannten Welt noch kein einziger Mensch beobachtet worden, der zu Aldi "pirscht". Jeder, der zu Aldi will, geht oder fährt zu Aldi.
"Erbeutet" man bei Aldi eine "in Metall verpackte Futterration"? Befindet man sich bei Aldi in einem Dickicht, hockt habichtgleich auf einem Ast, lauert, bis die "in Metall verpackte Futterration" auf dem Boden vorbeihuscht, und stürzt sich dann auf die in Metall verpackte Futterration namens Maus? Tja, es ist der reine hingeschwallte Stopfer, den Frau Keto von Waberer da ausgeheckt hat, und es wird gedruckt.
Nun wird die Dose - die eine erbeutete Dose wohlgemerkt, denn die Menschen gehen gewöhnlich zu Aldi, um exakt eine einzige Dose zu erbeuten, statt vielleicht drei Dosen, zwei Tüten Chips, ein Shampoo, eine Salatgurke, einen Beutel Kartoffeln, ein Sixpack Karlsquell und eine einzige Flasche Mariacron zu erwerben -, nun wird diese eine Dose heimgeschleppt.
Sie wird nicht in einer Tüte oder einer Tasche zusammen mit anderen Einkäufen nach Hause getragen oder in dieser Tasche oder Tüte ins Auto gelegt und dann heimgefahren, nein: Sie! Wird! Geschleppt! Ge-schleppt! Unter Einsatz der nach dem großen Beutezug noch verbliebenen letzten Kräfte!
Zu Hause wird: ihr Widerstand gebrochen. Der Dose Widerstand wird gebrochen. Mit dem dafür vorgesehenen Werkzeug. Denn diese eine Dose muss man sich wie zusammengerottete Revolutionäre vorstellen, die erst nach tagelangem Dauerbeschuss mit Bierbüchsen die brennenden Büchsenbarrikadenunterstände räumen, sich erhobenen Deckels ergeben und von der Dosenjunta in den Dosenfolterkeller gepfeffert werden.
So kommt man dieser einen, bei Aldi erbeuteten und aufrührerischen Dose bei, dieser trotz Vermummungsverbot in Metall verpackten Futterration, die erbeutet, unter Ächzen und Stöhnen, über die Schulter geworfen, nach Hause geschleppt wurde und dort, nach einem gnadenlosen Kampf gegen Metall und das in diesem verfassungswidrig versteckte Geschwörl: ausgeweidet wird. Heißt: Man durchtrennt Sehnen und Blutgefäße, löst Muskeln von Knochen ab und so weiter … Da werden sich die Erbsen aber wundern, was alles in ihnen steckt.
Der Satz müsste in passablem Deutsch ungefähr lauten: "Woran mag es liegen, dass Menschen zu Aldi gehen, in ein Regal greifen, eine Dose herausnehmen, sie nach Hause tragen und dort mit einem Dosenöffner öffnen und ihren Inhalt in einen Topf oder eine Schüssel schütten?" Antwort: Weil sie Hunger haben.
Das hätte Keto von Waberer schreiben können, beherrschte sie die deutsche Sprache. Sie hätte dann selbstverständlich keine steile, affengeile Fragestellung gehabt, und ohne diese enorme Fragestellung hätte es den ganzen wunderbar saudummen Buchbeitrag nicht gegeben.
Aber Keto von Waberer ist eine kulinarische Feuilletonistin, und als solche hat sie aus komplett trivialen Begebenheiten in einer aufgeschäumt-verschmierten Tortenprosa einen durch und durch nullundnichtigen Draufsattlertext herauszupressen, in dem nichts und wieder nichts, ja rein gar nichts steht und zu erfahren ist - außer, dass Keto von Waberer von sich aufs äußerste angetan sein muss.
Keto von Waberer - selten war ein Nachname onomatopoetischer. Herzlichen Glückwunsch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland