die wahrheit: Zehen im Schnee
Das Affentheater geht weiter.
Schwer zu sagen, was debiler war im vergangenen Fußballjahr: Dass der rumänische Fußballverband im Zuge des erbitterten Kampfes gegen die beispiellose Schweinegrippe das Spucken auf dem Platz verbot oder dass im Rahmen der schmierigen Feierlichkeiten anlässlich des 100. Geburtstages von Borussia Dortmund eine Hymne zur Uraufführung gelangte, die in jedem Flohzüchterverein vom Vorstand abgelehnt und deren Komponist mit Vereinsausschluss auf Lebenszeit bestraft würde? Wir möchten mal reinhören? Nein! Nein! Nein! Doch! Doch! Doch: "Das Fußballherz schlägt hier - BVB! - schon seit hundert Jahren, in Schwarz und Gelb stehn wir - hier stehn wir! -, Borussia! / Schwarz-gelb geboren, schwarz-gelbe Seele aus Tradition, wie eine Heimat für Vater und Sohn." Große Nummer, oder? Die Wortwahl! Der Rhythmus! Exquisit!
Seien wir froh, dass Zeitungen keine Töne von sich geben, andernfalls sähe man jetzt tausende Menschen in diesem Lande die taz aus den Fenstern schmeißen. Wer könnte das wollen?
"Damit die Mannschaft in der Rückrunde erfolgreich arbeiten kann, sollten die Stimmungsschwankungen im Umfeld weiter unterdrückt werden", ermahnt der Stern die Truppe rund um den den Klassenclown immer penetranter mimenden Jürgen Klopp, meint aber wohl nicht die akustischen Stimmungsschwankungen. Und der Bescheidwisser von der Weinstraße, Mario Basler, klärt uns im Scherz- und Schweineblatt Bild auf: "Wissen Sie, weshalb die Winterpause dieses Jahr so kurz ist? Nicht wegen der WM. Wegen der Hertha! Damit das Elend schneller endet. Mit dem Abstieg."
Prima, nicht wahr? Er hat noch einen: "Tja, die Hertha ist in dieser Saison so chaotisch wie die Ehe vom Tiger Woods. Wobei: Der sorgt wenigstens regelmäßig für Höhepunkte in seinem Leben."
Okay, ich höre ja auf. Und preise die Natur dafür, dass sie keine Witze macht. Sondern uns in diesem atomaren Winter ordnungsgemäß mit so viel Schnee wie seit 1978 nicht mehr beschenkt. Damals, 1978, lag ich am heiligen Samstagnachmittag auf dem Flokatiteppich im Wohnzimmer, hörte "Sport und Musik im WDR". Der große, würdevolle Kurt Brumme moderierte, und von neun Spielen waren sieben "witterungsbedingt" ausgefallen.
Und deshalb kam ein anderer ganz Großer pausenlos zum Zug, Günther Koch vom Bayerischen Rundfunk. Heute arbeitet er leider nur noch für das Internet-Radio 90elf. Er übertrug eine Partie des 1. FC Nürnberg gegen, glaube ich, Gladbach. Ein roter Ball sprang und flog hin und her, und ich hatte alles exakt vor Augen, denn Günther Kochs Schilderungen waren atemberaubend plastisch, farbig und eigensinnig. Es war wunderbar.
Dass der Club heuer nicht absteigen wird, verdankt er den großherzigen Münchnern, die ihm die Spieler mit den derzeit besten Namen in der Bundesliga ausgeliehen haben: Ottl und Breno (Breno = "Ich brenne"). Da brennt nichts an. Hilfreich wäre obendrein trotzdem, fänden pro Spieltag bloß noch zwei Begegnungen statt - wie dazumal, 1978.
Und zwar treten fix immer nur Nürnberg und der FC Bayern an, gegen Mannschaften, die durchs Los bestimmt werden - ausschließlich sympathische: Leverkusen, Bochum, Frankfurt (eingeschränkt, der Skibbe mit seinem Drohgemopse geht einem zu sehr auf den Zeiger), Berlin (Scherz!), Bremen, meinetwegen Hamburg.
Zum ewigen Zuschauen verdammt sind: Köln, Kaiserslautern (prophylaktisch), Wolfsburg, Stuttgart, die Hertha (kein Scherz) und Schalke. Zwei von diesen Deppenversammlungen rauschen dann automatisch hinunter in die Hölle der Zweiten Liga, die dritte erwischt es in der Relegation.
"Aus meteorologischer Sicht steht dem Rückrundenstart nichts im Wege", teilt der Deutsche Wetterdienst mit. Andererseits schreibt sport1.de: "Durch den teils wochenlangen Betrieb der Rasenheizungen gleicht das Spielfeld vielerorts mehr einem umgepflügten Acker als einem bundesligatauglichen Grün. Dazu trägt nach Meinung von Experten auch die verkürzte Winterpause bei." Also verlängern wir sie für die Narrenknappen kurzerhand bis in alle Ewigkeit.
Ohnehin stand das Spiel Schalke versus Nürnberg auf der Kippe, weil im Dach des Stadions "uff Scheiße" (Internet) ein zehn mal zehn Meter messendes Loch klafft - ein "Dachschaden" (Welt, Zeit, Kicker) aufgrund des strengen Winters. Winter, danke!
Und Franck Ribérys Christuszehen? Die vereiterten und angebohrten großen Zehen heilen bis Ostern aus, und dann bekommt der Mann mit den flinksten Beinen zwischen Isartor und Holstentor ein Paar passende Treter, um bei den Galaktischen auferstehen zu können.
Noch was? Nö, nix mehr.
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