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die wahrheitKönig zweier Reiche

Hoheit Kevin Ugulela II., Herrscher über Teller und Dörfer

Fast wäre ich achtlos an dem König vorübergegangen. Doch rechtzeitig besann ich mich darauf, was sich gehört, warf eine Fünfzigcentmünze auf den Teller und verließ die Toilette des Rasthofs Northeim an der Autobahn Kassel-Hannover. Erst auf halbem Weg zum Auto stutzte ich darüber, was mein achtloser Blick auf den schwarzen Mann im weißen Kittel beinahe übersehen hätte: die würdevolle Haltung, das gestickte Wappen an der linken Brust, die Krone auf dem gekräuselten Haupthaar.

Ich ging zurück, und für weitere fünfzig Cent erfuhr ich, dass ich tatsächlich einen Monarchen vor mir hatte: seine Hoheit Kevin Ugulela II., der 1989 nach einem Militärputsch in Liberia knapp vor seiner Zerstückelung als Asylbewerber nach Bayern gelangt war. Nach seiner Abschiebung nach Niedersachsen konnte er, der schon in der westafrikanischen Heimat Deutsch gelernt hatte, sich endlich verständigen und fand durch Vermittlung eines Vetters, Paramount Chief Toby Gorongo IV., Arbeit in der Raststätte. Hier lernte er 1992 Wiebke kennen, mit der er inzwischen neunzehn Kinder hat, als letztes nach lauter Mädchen den 2009 geborenen Thronfolger Kevin Ugulela III.

Übrigens kein Grund, sich aufzuregen, denn das Erbrecht der Ugulelas ist dem der europäischen Adelshäuser angepasst und folglich auf der Höhe der Zeit.

In der hübschen Zweizimmerwohnung in Gifhorn, wo die Familie wohnt, zeigt mir Kevin Ugulela II. eine Landkarte. "Zu Hause in meinem angeblich rückständigen Heimatland wohne ich natürlich nicht in so beengten Verhältnissen, dort gehören mir ganze Dörfer!", betont er und verweist darauf, dass er seit dem Ende der Militärdiktatur und der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 2005 wieder seine ererbten Rechte als Herr über Leben und Tod von 30.000 Menschen in der Provinz Margibi ausübt.

"Ich weiß, ihr Europäer glaubt, in Afrika herrschten Willkür und Mittelalter. In Wahrheit haben bei uns unabhängig von der gewählten Zentralregierung allein die Stammesfürsten das Sagen, und das seit Urzeiten. Glauben Sie nicht, dass das nicht funktioniert! Wir Könige sind damit immer gut gefahren", versichert der König und hebt hervor, dass ja auch in Deutschland der Chef mehr Gewalt über einen hat als die Regierung im fernen Berlin. Westliche Arroganz ist also fehl am Platz, zumal Kevin ein moderner Regent ist und sich als Pate seiner Landeskinder versteht, deren Angelegenheiten er regelt und die gegen einen kleinen Obolus seinen Schutz genießen - ein Brauch, der bekanntlich im Westen nicht minder verbreitet ist, wie jeder Restaurant- oder Bordellbesitzer weiß.

Der König, der zweimal im Jahr seine Heimat besucht und zwischendurch über Telefon, Internet und diverse Mittelsmänner Verbindung mit seinem Volk hält, schlägt ein Fotoalbum auf. Es sind aktuelle Bilder vom politischen Leben zu Hause: der König, wie er in einer goldenen Sänfte getragen wird; wie er - ein wallendes Festgewand außen rum und den Thron unten rum, ähnlich einer europäischen Monarchin oder dem Papst - Bittsteller empfängt; wie er das Schwert in der einen Hand präsentiert, das alte Symbol der Macht, und einen Kuhschwanz in der anderen, traditionell das Zeichen für einen Kuhschwanz. "Vor der Krönung wurde ich einen Monat in einem Raum eingeschlossen, um die alten Schriften zu lesen. Nur der König darf sie in die Hand nehmen!

Das ist wie bei euch, wo das juristische und verwaltungsfachliche Wissen ebenfalls den Laien verschlossen bleiben muss." Der König fährt fort: "Ich weiß, ihr Europäer macht euch lustig über unsere scheinbar irrationalen Traditionen. Aber in unseren alten Texten geht es in Wirklichkeit um anderes, es geht um Wissen! Um Wissen über unsere rituellen Tänze, unsere traditionelle Gerichtsbarkeit, über Kleidungs- und Beschneidungsfragen."

Anfangs habe auch er, weil er auf eine deutsche Schule ging, Vorurteile gegen das alles gehabt und sich gesträubt, König zu werden. Aber es war klar, dass der Sprössling der Königsfamilie irgendwann Besitz von der Macht ergreift. "Es ging mir wie den Kindern eurer Oberschicht", gesteht er, "nach den wilden Jugendjahren wird man vernünftig und übernimmt die Firma."

Ein König im deutschen Alltag: Das ist kein Einzelschicksal. Nach zuverlässigen Recherchen, die irgendwann vorgenommen werden, gibt es hunderte ähnlicher Fälle: der Tellerwäscher in Hamburg, der Clanchef auf den Philippinen ist; die Putzfrau, die von Oberhausen aus eine Sippe in Sizilien lenkt, nachdem der Papa in einem Hochhaus in Neapel verbaut worden ist; der frühere FDP-Minister, der nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe die Toiletten im Rasthof Northeim reinigt. "Der hält sich für was Besseres", klagt Kevin Ugulela II. "Aber jeden Tag mache ich dem Fatzke klar, was Leistung und Eigenverantwortung hier genauso wie in Afrika bedeuten."

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